von Mariella Gronenthal
Diese Woche stieß ich über den Facebookauftritt von Krautreporter auf das Online-Portal Quora. Auf Quora werden konkrete Fragen zu allen vorstellbaren Themen von Menschen mit Expertise im jeweiligen Feld beantwortet. Diese Expertise reicht von wissenschaftlichem Sachverstand bis zu persönlicher Erfahrung. Dadurch kommt es zu einer interessanten Beitragsvielfalt – so auch in dem auf Krautreporter zitierten Thread zum deutschen Patriotismus.
Wer schon viel Zeit im Ausland verbracht hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach schon mit der Frage konfrontiert worden, die auch auf Quora der Debatte vorausgeht: „Why aren’t Germans patriotic?“ Natürlich treibt diese Frage manche Kulturen stärker um als andere. In den USA ist sie mir ungleich häufiger gestellt worden als in Polen, wo ein Bewusstsein für das Ausmaß der historischen Verantwortung Deutschlands besteht. Denn die naheliegende Antwort liegt natürlich im Verweis auf den Nationalsozialismus, auf kollektive Scham und Verantwortung, auf Richard von Weizsäckers Wort von der „schweren Erbschaft“. Ich habe das im Ausland selbst zahlreiche Male erklärt.
Nun ist diese Antwort angesichts neuer Brisanz des Begriffs womöglich nicht länger ausreichend. Am wohl prominentesten hat sich den Patriotismus zuletzt PEGIDA angeeignet, dort wird er sogar im Namen geführt. Die AfD wirbt mit einem „gesunden Patriotismus“, aber auch CDU und CSU benannten im vergangenen Oktober in einem gemeinsamen Positionspapier eine „Kraftquelle: Heimat und Patriotismus“. Die automatische Verschränkung von Patriotismus und Nationalismus ist damit wohl kaum verschwunden, gleichwohl ist ersterer wieder salonfähig.
In diesem Zusammenhang erklärt sich auch, dass auf Quora eine Antwort auf die Ausgangsfrage dominiert. Sie lautet: Deutsche sind gar nicht „nicht patriotisch“. Der Patriotismus ist definitiv zurück.
Allerdings legen die verschiedenen Beiträger*innen auf ein Detail großen Wert: Seine Ausdrucksformen seien gänzlich andere als anderswo. Deutscher Patriotismus äußere sich etwa in der Bereitschaft, hohe Steuern zu zahlen, in der Solidargemeinschaft, in der Lebendigkeit der politischen Kultur.
Zwar ist die obenstehende Antwort sarkastisch zugespitzt, sie rührt aber doch an den Kern der Diskussion. Immerhin war im letzten Sommer im Zuge der Fußball-WM auch die grüne Kritik am „Party-Patriotismus“ in den Medien präsent, die das exhibitionistische Fahnenschwenken als weniger patriotisch denn nationalistisch deutete. Zwischen einem Begriff, über dessen Bedeutung evident kein gesellschaftlicher Konsens (mehr) besteht, und den daraus folgenden symbolischen Handlungen wie dem Fahnenschwenken ist ein Zusammenhang schnell hergestellt, der auch zum Teil überstürzte Schlussfolgerungen bis hin zu Schuldzuweisungen zulässt.
Die Frage danach, was Patriotismus in Deutschland sein kann und welche Ausdrucksformen dafür akzeptabel sind, bleibt dabei jedoch unbeantwortet. Die Schwierigkeit des Begriffs liegt gerade darin, dass er gegensätzliche Ausdeutungsmöglichkeiten zulässt; dass für den einen Isolationismus und Protektionismus patriotische Akte sind – und für den anderen offene Grenzen in Verbindung mit Integrations- und Antidiskriminierungsarbeit.
Mariella Gronenthal ist wissenschaftlich-pädagogische Mitarbeiterin am GESW.