Von Dr. Gerhard Schüsselbauer
Eine der schwersten Rezessionen der letzten Jahrzehnte erschüttert sowohl die deutsche Volkswirtschaft als auch andere europäische Länder. Anfang 2021 wird nun klar, dass der Abschwung und dramatische wirtschaftliche Einbruch 2020 noch lange nicht überwunden sind. Wir durchleben gerade die zweite Rezessionswelle („Double-Dip Recession“), die vor allem im Dienstleistungssektor zu massiven Einbrüchen führt.
Die ökonomische Infektionskette verläuft bei der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Rezession nicht ausgehend vom Platzen einer Immobilien- und Finanzierungsblase, sondern von einer massiven gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragereaktion auf einen nie dagewesenen externen Schock. Nicht Leistungsbilanz- oder Zahlungsbilanzungleichgewichte sowie der rasante Zuwachs der Staatsverschuldung und die Schock-wellen, ausgelöst durch das katastrophale Missmanagement vieler Banken und Finanzinstitute, bestimmen das gegenwärtige weltwirtschaftliche Bild. Es sind vielmehr sehr konkrete Produktionseinbrüche und der Abschwung der realwirtschaftlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen weltweit auf der Angebotsseite aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie. Im Gefolge befinden sich nun sowohl die inländische Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern als auch die Weltnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, besonders im Tourismussektor, im steilen Sinkflug und mündeten in eine schwere und wahrscheinlich lange andauernde Rezession.
In Deutschland ist die gesamtwirtschaftliche Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Jahr 2020 um ca. 5 Prozent geschrumpft. Das arbeitsmarkt- und sozialpolitisch enorm wichtige Instrument der Kurzarbeit sichert dennoch einen hohen Beschäftigungsstand, sodass die Arbeitslosenquote bislang nur moderat angestiegen ist. In Frankreich, Italien, Spanien oder vor allem in dem vom Brexit zusätzlich gebeutelten Vereinigten Königreich fällt der gesamtwirtschaftliche Einbruch noch viel drastischer aus. Der Hauptgrund liegt darin, dass deren Volkswirtschaften viel stärker dienstleistungsbasiert sind als die relativ robusten Industrie- und Bausektoren in der Bundesrepublik Deutschland. Länder wie das Vereinigte Königreich oder Frankreich haben in den letzten Jahrzehnten eine starke Deindustrialisierung erfahren und weisen einen Anteil des produzierenden Gewerbes an der gesamtwirtschaftlichen Leistung auf, der nur gut halb so groß ist wie in Deutschland. Diese strukturelle Schwäche rächt sich nun im Vergleich zu kapital- und technologieintensiven Produktionsweisen insbesondere in Deutschland, in den Niederlanden oder auch in Tschechien, das wie Belgien in besonderem Maße von der Pandemie betroffen ist. Problematisch für die wirtschaftliche Zukunft in Deutschland ist jedoch auch der deutliche Rückgang der Bruttoanlageninvestitionen sowie der Exporte, die einen wichtigen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ausmachen. Die massiv gestiegenen Staatsausgaben (+3,4 Prozent) durch die expansive Fiskalpolitik können diese Investitionsausfälle nur teilweise kompensieren.
Ein großes Problem stellt die für 2021 drohende Insolvenzwelle dar. Vor allem im Sektor der Dienstleistungen bzw. dienstleistungsnahen klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) wird eine massive Zunahme an Firmeninsolvenzen befürchtet. Auch wenn das Insolvenzrecht kurzzeitig den außergewöhnlichen Umständen per Verordnung angepasst wurde, haben sehr viele klein- und mittelständische Unternehmen Rücklagen aufgebraucht und sehen sich einer Schieflage wegen der dramatischen Umsatzrückgänge gegenüber. Ein massiver Einbruch kann nur dann vermieden werden, wenn Produktions- und Lieferketten trotz der immer wieder verlängerten Maßnahmen des Lockdowns nicht unterbrochen werden. Dennoch werden die Wachstumsprognosen für 2021, ausgegeben vom IWF, der OECD oder der Bundesregierung, immer wieder nach unten korrigiert. Entscheidend wird sein, inwiefern Nachholeffekte beim privaten Konsum, bei Investitionen sowie in der Exportwirtschaft schnell zum Tragen kommen. Die massive Krise hat zu einem deutlichen Anstieg der Sparquote in Deutschland geführt. Darüber hinaus werden die Erholung der Nachfrage auf dem EU-Binnenmarkt sowie die US-Handelspolitik unter dem neuen Präsidenten Joe Biden eine maßgebliche Rolle spielen. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte wird auch bei einer leichten Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar nicht beeinträchtigt. Entscheidend für den Erfolg auf dem Weltmarkt und dem EU-Binnenmarkt sind hier Qualitätsniveau und technologischer Fortschritt. Es ist allerdings zu befürchten, dass die wirtschaftliche Erholungsphase umso später einsetzt, je länger weltweit und europaweit die massiven Beschränkungen aufrechterhalten werden müssen. In offenen Volkswirtschaften sind die Wechselwirkungen von externen Schocks auf das Wirtschaftswachstum besonders ausgeprägt. Die Gefahr einer länger andauernden weltwirtschaftlichen Stagnation (mit Ausnahme von China und anderen ostasiatischen Ländern) ist noch lange nicht gebannt.