Und die Deutschen?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Von der Leyen in Kiew, mit der Versprechung, die Ukraine massiv materiell zu unterstützen, ihren EU-Beitritt zu beschleunigen und auch Waffen zu liefern. Boris Johnson in Kiew, beim Spaziergang mit Präsident Selenskyj in der leidgeprüften ukrainischen Hauptstadt, im Gepäck ebenfalls das Versprechen größtmöglicher Unterstützung, darunter Raketenabwehrsysteme, die auch gegen russische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer eingesetzt werden können.

Derweil telefoniert Präsident Macron viel mit Putin, statt die Ukrainer konsequenter zu unterstützen, so der polnische Ministerpräsident Morawiecki, der postwendend von Macron als Rechtsextremist und Antisemit tituliert wird. Macron wirft Morawiecki Wahlkampfhilfe für Marine Le Pen vor. Da liegt er wohl richtig, denn Polen hat seine Außenpolitik seinem innenpolitischen Rechtsruck angepasst und kooperiert seit Jahren intensiv mit der europäischen Rechten, natürlich mit Marine Le Pen und schon traditionell mit Viktor Orban, der in Ungarn einen grandiosen Wahlsieg eingefahren hat und aus seinem prorussischen, im Grunde genommen antiukrainischen Kurs keinen Hehl macht. Dies ist problematisch für die polnische Regierung, die im Hinblick auf den Angriffskrieg Russlands und auf die Kriegsverbrechen Putins die schärfste Rhetorik an den Tag legt. Andererseits benötigt man den Partner Ungarn als zuverlässigen Mitstreiter im Rechtstreit mit der EU, also muss man ihn sich warmhalten.

In Polen hat man die größte Zahl an Ukraineflüchtlingen, weil über 2,6 Millionen, aufgenommen und die polnische Zivilgesellschaft hat sich bisher sehr solidarisch verhalten bei ihren Hilfsmaßnahmen für die heimatlos gewordenen und im Nachbarland gestrandeten Ukrainer/innen. Präsident Selenskyj ist voller Lob und hat den Polen unlängst die Kopfnote „eins“ gegeben. Das harte polnische Grenzregime gegenüber den von Lukascheko an die polnisch-weißrussische Grenze gelockten Syrern und Afghanen bleibt indes erhalten. Dies stößt nicht nur der polnischen Opposition und etlichen polnischen NGOs bitter auf.

Derweil übergibt die kleine Slowakei ihr Raketenabwehrsystem an die Ukrainer und das etwas größere Tschechien liefert Panzer in das Kriegsgebiet. Und Polen liefert wohl eine nicht unerhebliche Zahl seiner T-72 Panzer an die Ukraine.

Die baltischen Staaten beschließen, sich umgehend von den russischen Energielieferungen unabhängig zu machen. Auch mahnen sie ähnlich wie die polnische Regierung und der ukrainische Präsident Selenskyj die EU an, die energiepolitischen Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.

Und da liegen sie nicht falsch, denn weder hat die europäische Antwort auf das Putinsche Rubelmanöver zu einer Schwächung der russischen Kriegswirtschaft geführt noch tun die von der EU beschlossenen und nun mit großer Verzögerung erst ab August 2022 einsetzenden Sanktionen für Steinkohle, die überdies nur einen Bruchteil der Energieinnahmen Russlands darstellen, Putin richtig weh.

Was eindeutig fehlt und permanent verzögert wird, sind entschiedenere Maßnahmen im Hinblick auf Erdöl und Erdgas. Und hier erweist sich innerhalb der EU die deutsche Ampelregierung – ähnlich wie bei den Waffenlieferungen – als der größte Zauderer und Bremser. Kann man dies im Hinblick auf die Erdgaslieferungen noch nachvollziehen, obschon es hier auch die Möglichkeit gäbe, mit Hilfe der vom einigen Ökonomen und Politikern vorgeschlagenen Besteuerung die Einnahmen Putins erheblich zu drosseln und daraus einen Unterstützungsfonds für die Ukraine zu bilden, so scheint das Zögern bei einem durchaus möglichen und verkraftbaren Erdölembargo kaum noch nachvollziehbar. (Katharina Wagner: Damoklesschwert Embargo. In: FAZ, 07.04.22, S.26)

Das wäre relativ rasch und risikolos umzusetzen und wäre in der jetzigen Situation, in der sich die russische Großoffensive im Donbass anbahnt, durchaus effektiv. Ein Blick auf die Zahlen genügt: Im Jahre 2021 exportierte Russland Waren im Wert von 494 Mrd. Dollar, davon entfielen auf Steinkohle 17.6 auf Erdgas, 55,5 und auf Rohöl 109,4 Mrd. Dollar. Was Deutschland angeht, möchte Robert Habeck die deutschen Ölimporte bis zur Jahresmitte halbieren und bis Jahresende ganz einstellen. Dieses aufgrund der Mahnungen der deutschen Industrie nachvollziehbare abgestufte Vorgehen wird aber wohl kaum genug wirtschaftlichen Druck auf Russland erzeugen. Denn Putin braucht bis zum 9. Mai 2022 einen militärischen „Sieg“, komme, was da wolle. Dass dieser möglichst ausbleibt, ist nicht nur in existentiellem ukrainischen, sondern auch im Interesse aller, die sich in dieser Welt Frieden und Freiheit wünschen.

Es ist weiterhin die knappe Ressource Zeit, die die entscheidende Rolle spielt. Eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Russland sich mit seinem Vernichtungskrieg in der Ukraine nicht weitgehend durchsetzt, ist eine sehr weitreichende Unterstützung des sich zäh verteidigenden Landes durch die USA, die EU und damit auch durch die Wirtschaftsgroßmacht Deutschland. Die Ukraine braucht jetztschwere Waffen und die russische Wirtschaft muss jetzt hart getroffen werden, damit die Ukraine die russische Offensive abwehren kann und damit die Aussicht auf einen Waffenstillstand und auf wie auch immer geartete Friedensverhandlungen erhalten bleibt. (Interview Inna Hartwich mit Michail Kruchtin: Gas ist die wichtigste Einnahmequelle Russlands. In: taz, 08.04.22, S.2)

Während sich das Europäische Parlament jüngst mehrheitlich für ein energetisches Totalembargo Russlands ausgesprochen hat, gibt es im Europäischen Rat keine Einigkeit. Und auch hier sind es in erster Linie die Deutschen, die zögern und nicht voran gehen wollen. „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch.“ Diese Worte des Bundeskanzlers Olaf Scholz harren einer Umsetzung in die reale Politik. Und dazu muss Scholz sich nicht unbedingt wie von der Leyen oder Johnson in Kiew zeigen, vielmehr sollte er in diesem gegen die Ukraine und ganz Europa geführten Krieg sehr viel entschiedener und vernehmlicher Verantwortung übernehmen.

Schließlich war es die deutsche Außen- und Energiepolitik, die in hohem Maße zur Stärkung des russischen Regimes beigetragen hat. Der verbal mit viel Enthusiasmus angekündigten „Zeitenwende“ müssen nun auch sichtbare Taten folgen. Ich bin da ganz der Auffassung von Annalena Baerbock, die sich ähnlich wie Robert Habeck dafür aussprach, der Ukraine schwere Waffen zu liefern und das so begründete: „Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, jetzt ist Zeit für Kreativität und Zeit für Pragmatismus.“