Raketen statt Weizen, Worte statt Ringtausch

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Die Unterschriften unter den beiden Abkommen über den Abtransport der gewaltigen ukrainischen Weizenreserven aus den Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Juschne sowie den ungehinderten, sanktionsfreien Export russischen Weizens haben in den letzten Stunden bei vielen Menschen auf der ganzen Welt, besonders aber bei jenen, die vor einer akuten Hungerkatastrophe stehen, große Hoffnungen geweckt. Die sich quasi abzeichnende Lösung, die nach zähen Verhandlungen der UN und der Türkei mit den Repräsentanten Russlands und der Ukraine zustande kam, ist indes nach nur einem einzigen Tag höchstwahrscheinlich wieder Makulatur. (Reinhard Veser: Der Weg zur heiklen Einigung. In: FAZ, 23.07.22, S. 3)

Die bereits am nächsten Morgen auf den Hafen von Odessa abgefeuerten russischen Raketen bestätigen ein weiteres Mal, mit welch einem „Vertragspartner“ wir es hier zu tun haben. Das sollte für all diejenigen, die in letzter Zeit auf Verhandlungen mit Putin gedrungen haben, eine eindrucksvolle Lehre sein. Dass Erdogan und Guterres von Russland nicht nur nicht enttäuscht, sondern getäuscht wurden, liegt dabei klar auf der Hand. Putin wähnt sich – ähnlich wie bei der Gasversorgung – am längeren Hebel und demgemäß nutzt er diese Definitionsmacht weidlich aus.

So wie es Gazprom gelungen ist, durch das Drehen am Gashahn und das absurde Spielchen mit der Gasturbine aus Kanada die Deutschen zu verunsichern und die kürzlich von Habeck angemahnte Solidarität der EU-Staaten in Sachen Gasversorgung auf eine harte Probe zu stellen, so gelingt es auch seinen Propagandisten durch die Androhung einer weiteren Eskalation des Krieges, weite Teile der westlichen Gesellschaften zu verunsichern. Dies verleitet auch die unter Gasschock stehenden deutschen Russland-Versteher dazu, ihre Vorstellungen erneut lautstark zu artikulieren. Dabei ist höchst zweifelhaft, ob Russland sich überhaupt einen kompletten Gasstopp leisten kann, da es doch selbst sehr stark von den Gasverkäufen nach Europa abhängt, so die Energieökonomin Claudia Kemfert. (Antje Höning, Jana Wolf: Durch Nord Stream 1 fließt wieder Gas – vorerst. Überspannt Putin den Bogen? In: Westfalenblatt, 22.07.22, S. 4; Susanne Schwarz: Bitte mitfrieren, danke! Gas sparen für Deutschland? Nicht alle EU-Länder sind dabei. In: taz, 23./24.07.22, S. 4)

Waren es aber in der Vergangenheit vor allem Vertreter der AfD und der Linken, die sich für „Verhandlungen“ mit Putin aussprachen, so sorgte jüngst der Ministerpräsident von Sachsen, Kretschmer (CDU), für entsprechenden Gesprächsstoff. Ranghohe Politiker der CDU wie Röttgen und Wadephul widersprachen allerdings heftig und drohen ihrerseits der Bundesregierung in Sachen Ukrainekrieg mit einer Sondersitzung des Bundestags Anfang August. (Unionspolitiker drohen Ampel mit Sondersitzung. Wadephul erwägt Missbilligungsantrag gegen Regierung wegen schleppender Waffenlieferungen an Kiew. In. FAZ, 22.07.22, S. 2)

Das zögerliche Verhalten der Bundesregierung bei der Lieferung schwerer Waffen wird erneut angemahnt, zudem auch immer deutlicher wird, dass der im April angekündigte „Ringtausch“ mit verbündeten Staaten wie Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Polen und Griechenland, der Deutschland davor bewahren sollte, selbst und direkt schwere Waffen zu liefern, nicht vorangekommen ist. Es darf nicht wundern, wenn sich polnische Politiker darüber beschweren, dass Polen bisher 300 T72 Panzer an die Ukraine geliefert hat, und dafür im Gegenzug von Deutschland bis Februar 2024 insgesamt 20 (!) deutsche Ersatzpanzer bekommen soll.

Roderich Kiesewetter (CDU) ist deshalb beizustimmen, wenn er fürchtet, dass hier jahrelang aufgebautes Vertrauen verspielt wird. Allerdings ist angesichts der fatalen, auf russisches Gas setzenden deutschen Energiepolitik, in Polen sowieso schon viel Porzellan zerbrochen worden ist. Es bedarf zukünftig auf beiden Seiten erheblicher diplomatischer Anstrengungen, um die deutsch-polnischen Beziehungen zu verbessern. Schon allein deshalb, weil die polnische Regierungspartei PiS seit Jahr und Tag einen ausgesprochen antideutschen Kurs fährt und nicht nur wegen des Streits in Fragen Rechtsstaatlichkeit massive Kritik an der EU übt. In Polen setzt man in Fragen der Sicherheit deshalb auf ein Bündnis mit den USA und Großbritannien. Angesichtes der Bedrohung durch Russland, das in der benachbarten Ukraine einen imperialistischen Vernichtungskrieg führt, ist diese Haltung gut nachvollziehbar. Dazu gehört auch, dass Polen die Ukraine massiv mit Waffen unterstützt und seine Streitkräfte in den nächsten Jahren durch den Kauf amerikanischer und südkoreanischer Waffensysteme erheblich verstärken wird.

In dieser Situation wäre die Bundesregierung gut beraten, ihren größten östlichen Verbündeten nicht weiterhin mit symbolischen Zusagen zu vertrösten. Und wenn man schon Ende des Monats die ersten Gepard-Panzer in Richtung Ukraine auf den Weg bringen will, dann fragt sich inzwischen nicht nur der renommierte Sicherheitsexperte Carlo Massala, wieso man sich weiterhin ziert, Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 zu liefern. Zumal Spanien das demnächst tun wird, da Deutschland hierzu die Erlaubnis erteilt hat. (Gregor Mayntz: Kein Ring, kein Tausch. Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine stockt. In: Westfalenblatt, 22.07.22, S. 5; Peter Carstens: Viele Worte, kein Ringtausch. Berlin wollte der Ukraine Waffen liefern, ohne ihr Waffen zu liefern. Erfolglos bislang. In: FAZ, 21.07.22, S. 10)

Damit keine Missverständnisse aufkommen. Ich bin auch der Meinung, dass dieser sinnlose, nihilistische Krieg möglichst bald beendet werden sollte. Davor aber sollten wir aber gerade jetzt, wo es der Ukraine unter großen Verlusten gelungen ist, die russische Offensive zu stoppen und im Süden selbst die Initiative zu übernehmen, dafür sorgen, dass das Land in die bestmögliche Verhandlungsposition mit Russland gebracht wird.

Putin wird auch in Zukunft nur eine Sprache verstehen, die der Stärke und entschiedenen Gegenwehr. Die im Berliner Exil lebende russische Schriftstellerin Irina Rastorgujewa hat diesen Sachverhalt recht lakonisch auf den Punkt gebracht: „Wenn Russlands Armee aufhört zu kämpfen, gibt es keinen Krieg in der Ukraine mehr. Wenn die ukrainische Armee aufhört zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr.“ (Irina Rastorgujewa: Ein ganzes Land macht sein Testament. Selbstmord und Sabotage in einem repressiven Banditenstaat. Die russische Heimatfront im Ukrainekrieg geht quer durch die Nationalitäten und Familien. In: FAZ, 22.07.22, S. 9)