Nach dem Marder den Leo?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Überraschend ist diesmal der französische Präsident Macron vorgeprescht und hat der Ukraine am Mittwoch letzter Woche (wohl nach Verhandlungen seines Verteidigungsministers Sébastien Lecornu in Kiew) die Lieferung von Schützenpanzern des Typs AMX-10 RC angeboten. Älteres Gerät, das sich aber in der Vergangenheit bewährt hat und von der Kampfkraft wohl mehr wert ist als ein Marder, aber weniger als ein Leopard. Kurz darauf zogen Joe Biden und Olaf Scholz nach. Die Amerikaner wollen 50 Bradleys liefern, die Deutschen 40 Marder, wobei noch unklar ist, in welcher Ausführung (mit oder ohne Panzerwaffe) und aus welchen Beständen, aus der Bundeswehr oder der Industrie. (Peter Carstens: „Eisenschweine“ für Kiew. Deutschland liefert der Ukraine in Absprache mit Amerika Marder-Panzer. Nicht allen in Berlin geht das weit genug. In: FAZ, 07.01.23, S.2)

Der deutsche Schritt stellt eine Kehrtwende dar, denn bisher hatte man der Ukraine die Lieferung von Schützenpanzern verwehrt. Das französische Vorpreschen, das mit dem deutschen Partner offensichtlich nicht abgestimmt war, lässt Frankreich als quasi entschiedene Führungsmacht erscheinen. Dabei hatte sich Frankreich doch in den letzten Wochen in Sachen Waffenlieferungen – ähnlich wie Deutschland, das noch dabei ist, seine Hausaufgaben in Sachen Puma zu erledigen – sehr zurückgehalten. Macron war kürzlich noch aus der Reihe getanzt, als er weiterhin Verhandlungen mit Putin anmahnte und auf wie auch immer berechtigte „Sicherheitsinteressen“ Russlands verwies. Dieses Bild sollte nun wohl durch einen entschiedeneren Schritt nach vorne korrigiert werden.

Inzwischen ist (zu) viel Zeit verflossen und es war wohl erst der Besuch Selenskyjs in Washington, der dazu geführt hat, dass die USA die Lieferung von „Patriots“ und nun auch – nach einem Telefonat mit Olaf Scholz – die Lieferung der besagten Bradleys zugesagt und in die deutsche Zögerlichkeit etwas mehr Bewegung gebracht haben.

Höchste Zeit, denn angesichts der kompromisslosen Haltung Putins und der enormen Anstrengungen der russischen Seite, die Ukraine unter hohen Verlusten im Donbass zurückzudrängen und für Ende Februar/Anfang März eine eigene Offensive zu starten, braucht die Ukraine Kampfpanzer, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Und umgekehrt will die Ukraine selbst eine Offensive starten, dann wird eine solche Operation ohne eine erhebliche Stückzahl westlicher Kampfpanzer (ob das nun deutsche Leoparden, französische Leclercs oder amerikanische Abrams sind) weder an der Ost- noch an der Südfront erfolgreich durchzuführen sein.

Der ukrainische Armeechef Waleryji Saluschnyj hat schon vor Monaten die Rechnung aufgemacht, dass die Ukraine 1.500 Waffensysteme (300 Kampfpanzer, 700 Schützenpanzer und 500 Artilleriesysteme) benötigt, um den Donbass zu befreien und um eine russische Frühjahrsoffensive abzuwehren. Auch deutsche Militärexperten haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die ukrainischen Bestände an sowjetischen Kampfpanzern (T 62, T 72) dahingeschmolzen sind, da sie bei der Abwehr russischer Angriffe um Kiew sowie im Osten und im Süden des Landes, schließlich bei den ukrainischen Gegenoffensiven in großer Zahl zerstört wurden.

Auch wenn die von Saluschnyj genannte Zahl erbetener Waffensysteme überhöht sein mag, so wird doch deutlich, mit welcher Diskrepanz wir es hier zu tun haben. Sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht, denn – und da sind sich sämtliche Militärexperten einig – ohne Kampfpanzer ergibt die jetzt angekündigte Lieferung von deutschen, französischen und amerikanischen Schützenpanzern nur wenig Sinn. Oder mit den Worten des österreichischen Militärexperten, Oberst Markus Reisner: „Schützenpanzer ohne Kampfpanzer, das ist wie Nägel ohne Hammer“. (Marco Seliger: Von wegen Panzerwende. Ohne Kampfpanzer ergibt die Lieferung von Marder und Bradley keinen Sinn. In: nzz, online, 06.01.23)

Insofern braucht es nicht zu wundern, dass nicht nur namhafte deutsche und ausländische Militärexperten darauf drängen, die Ukraine so bald wie möglich mit deutschen Panzern vom Typ Leopard 2 auszurüsten, die es europaweit noch in hoher Stückzahl gibt, sondern auch namhafte deutsche Politiker/innen aus der Opposition und der Ampelkoalition darauf drängen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und in Absprache mit den USA und den europäischen Verbündeten sowohl die Schulungen ukrainischer Soldaten an westlichen Waffensystemen als auch die Auslieferung der von der Ukraine dringend benötigten Kampfpanzer zu beschleunigen. Zuletzt waren dies wie üblich Roderich Kiesewetter, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Robin Wagener, der gegenüber der nzz ausführte: „Zur Wahrheit gehört auch, dass wir den Marder schon seit dem Frühjahr hätten liefern müssen. Unsere Zurückhaltung hatte leider keinerlei deeskalierenden Effekt auf den Kreml.“ (Rewert Hoffer: Berlin schwenkt um. Nach Frankreichs Ankündigung liefert auch Deutschland Schützenpanzer an die Ukraine. In: nzz, online, 05.01.23)

Wie in einem im „Wall Street Journal“ vom 06.01.23 abgedruckten Interview nachzulesen ist, befürwortet auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Lieferung der in polnischen Beständen noch verbliebenen 241 Leopard 2-Panzer an die Ukraine. Dies soll nicht im Alleingang geschehen, sondern in Absprache mit den europäischen Verbündeten und unter der Voraussetzung, dass Deutschland zustimmt. (Bartosz T. Wieliński: Polska myśli o wysłaniu Ukrainie leopardów. NATO przekaże Ukrainie bojowe wozy piechoty. In: Gazeta Wyborcza, online, 06.01.23)

Dass nun auch Polen öffentlichkeitswirksam von sich aus den Druck erhöht, scheint nicht dafür zu sprechen, dass es in Sachen Leopard 2 weiterführende Gespräche mit Berlin gegeben hat. Ein koordiniertes europäisches Abstimmen und Vorgehen in Sachen militärischer Unterstützung der Ukraine, das so dringend geboten wäre, sieht anders aus. So wird man sich wohl bis zum nächsten Ramstein-Gipfel am 20. Januar 2023 gedulden müssen, bei dem vielleicht entschieden wird, ob die Ukraine tatsächlich damit rechnen kann, diejenigen westlichen Waffensysteme zu erhalten, die sie so dringend für ihr Überleben benötigt.