Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Wo soll denn das noch enden, fragt sich so mancher Zeitgenosse besorgt – und sicher nicht nur in Deutschland, denn das unsägliche Gezerre um die Lieferung der Leopard 2-Panzern sorgte im In- und Ausland für Ratlosigkeit, Verunsicherung oder Empörung. Kaum hatte sich der deutsche Bundeskanzler unter großem Druck aus dem In- und Ausland zur Lieferung der Leos durchgerungen, da gab es schon die nächste Forderung der ukrainischen Führung nach Kampfflugzeugen, die besonders von dem in Deutschland umstrittenen ehemaligen Botschafter in Berlin und derzeitigem stellvertretenden Außenminister Andrij Melnyk mit gewohnter Vehemenz vorgetragen wurde. Ja, da hatte man nach langem „Scholzing“ gerade erst mal erleichtert oder verunsichert die späte deutsche Entscheidung in Sachen Leos zur Kenntnis genommen, und schon tauchte die nächste Herausforderung in Sachen „Farbe bekennen“ auf.
Wir erinnern uns: Die ukrainische Forderung nach Kampfflugzeugen gibt es seit Kriegsbeginn. Damals waren es die USA, die auf einen polnischen Vorschlag, MiG 19 zu liefern, nicht eingingen, wohl um eine Eskalation zu verhindern. So blieben die flehentlichen Bitten Selenskyjs nach einer Schließung des Himmels über der Ukraine ungehört und die ukrainischen Städte waren russischen Bomben und Raketen relativ wehrlos ausgeliefert. Die spätere Lieferung entsprechender Luftabwehrraketensysteme kürzerer und mittlerer Reichweite aus den USA und Europa sorgten dann aber für eine Relativierung der zunächst dominanten russischen Lufthoheit.
Und da der Westen aus guten Gründen vermeiden wollte zur direkten Kriegspartei zu werden, legte man bei der Lieferung sog. schwerer Waffen nicht nur in den USA und in Deutschland große Vorsicht an den Tag und schloss die Lieferung sog. „Angriffswaffen“ mehr oder weniger kategorisch aus. Nicht nur Scholz hat dabei „gescholzt“, sondern auch Macron wurde in der Ukraine, aber auch in Polen und im Baltikum der Vorwurf gemacht, zu „macronieren“ statt Waffen zu liefern. Die Versuche, Putin zu realistischen Verhandlungen mit der Ukraine zu bewegen, wurden vor allem von deutscher und französischer Seite unternommen, blieben aber ohne Erfolg.
Schließlich hat sich gerade in den letzten Wochen die von Olaf Scholz geprägte Formel, dass Russland nicht gewinnen und die Ukraine nicht verlieren dürfe, weitgehend aufgebraucht. Weder Putin noch Selenskyj können sie in ihrer Unentschiedenheit und Vagheit akzeptieren. Im Westen hat sich mittlerweile nicht die lange gerade in Deutschland gepflegte „realistische“ Denkweise durchgesetzt, die davon ausgeht, dass ein Krieg gegen die Atommacht Russland nicht zu gewinnen sei und dass Russland berechtigte „Sicherheitsinteressen“ habe, die zu berücksichtigen seien, selbst wenn dadurch die staatliche Existenz der Ukraine auf dem Spiel stünde.
Dies hat natürlich auch damit zu tun, dass Russlands Kriegsziele weit über die Beherrschung bzw. Zerstörung der Ukraine hinausreichen. Inzwischen hat man auch in Berlin und Paris begriffen, dass es Putin nicht nur um die Rivalität mit EU und NATO geht, sondern um deren Zersetzung und Zerstörung, um seinen Machtanspruch auf ganz Europa auszudehnen. In imperialistischer, manichäischer KGB-Manier lässt er deshalb verkünden, dass der „kollektive Westen“ Russland und alles Russische zerstören wolle, und dass es für das vom Westen überfallene Russland um das blanke Überleben gehe. Das ist zwar absurd, soll aber den in der Ukraine mit aller Brutalität betriebenen russischen Vernichtungskrieg legitimieren und die Opferbereitschaft der seit zwei Jahrzehnten Putinismus hirngewaschenen russischen Bevölkerung nicht verglimmen lassen.
Die russische Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen hat sich schon deshalb aufgebraucht, weil Putin, Medwedjew und andere propagandistische Lautsprecher sie zu oft wiederholt haben. Die Kosten eines solchen Einsatzes wären selbst für das selbstmörderische Putin-Russland nicht zu tragen. Andererseits hat man deutlich gesehen, wie erfolgreich die russische Propaganda mit diesem perfiden Vernichtungsszenario Angst und Schrecken verbreitet hat und weiterhin verbreitet. Auch wenn diese Propaganda in erster Linie nach innen konsolidieren soll, um trotz massiver militärischer Niederlagen und Verluste und einer langsam, aber sicher kollabierenden Wirtschaft weiterhin behaupten zu können, dass alles „nach Plan“ verlaufe, der große Führer alles im Griff habe, aber auch nicht zögern werde, notfalls A-Waffen einzusetzen, hatte sie doch in den USA und in Europa nicht ohne Grund eine enorme er- und abschreckende Wirkung.
Diese Wirkung hat wie oben erwähnt spürbar nachgelassen und es wurde auf westlicher Seite verstanden, dass die Ukraine nicht nur nicht verlieren darf, sondern siegen muss, damit dieser Krieg zu einem Frieden führt, bei dem die staatliche Integrität der Ukraine und das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer/innen gewahrt bleiben. Es gilt also aus Sicht der USA und etlicher europäischer Staaten nicht nur darum, schnell möglichst viele Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern, sondern sich auch die Option zur Lieferung von Kampfflugzeugen offenzuhalten.
Die Ankündigung, moderne westliche Panzer in die Ukraine zu liefern, hat kundige russische Militärexperten durchaus beeindruckt. Sie wissen um die Vorzüge westlicher Technik. Die russische Führung wird deshalb wohl alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Ukraine so früh wie möglich auf breiter Front anzugreifen. Man braucht Geländegewinne, um die aberwitzigen eigenen Verluste zu legitimieren und diesen quasi verlorenen Krieg in einen „Sieg“ umzumünzen. Andererseits darf die Ukraine, will sie nicht zerstört und unterworfen werden, gerade dies nicht zulassen. Es bleibt abzuwarten, ob die versprochenen westlichen Kampfpanzer noch rechtzeitig an die Front gelangen, um die russische Offensive abzuwehren und die Ukrainer zu effektiven Gegenstößen zu befähigen?
Ähnlich steht es um die Lieferung von Kampfflugzeugen westlicher oder sowjetischer Bauart an die Ukraine. Die USA, Frankreich, Polen und die Slowakei schließen eine solche grundsätzlich nicht aus. Ein solcher Schritt wird sich an den Verteidigungsbedürfnissen der Ukraine und den Zielen des Westens ausrichten müssen. Und natürlich sollten sich die westlichen Verbündeten dabei auf ein gemeinschaftliches, abgestimmtes Vorgehen einigen. Deutschland hat vorsorglich schon eine (vorläufige) rote Linie gezogen, besitzt aber im Unterschied zur Diskussion um die Leos nicht das alleinige Entscheidungsrecht. Wie auch immer entschieden wird, man darf hoffen, dass bis zum nächsten Ramstein-Treffen Mitte Februar dieses Jahres entsprechende Vorbereitungen getroffen werden und der Westen mit einer Stimme spricht. Mit einer abschreckenden Stimme, die den Strategen in Moskau noch etwas mehr zu denken gibt.
Unabhängig davon werden wir uns in der Ukraine wahrscheinlich auf einen langen Abnutzungskrieg einstellen müssen. Dies wird neben den allfälligen Aufgaben einer effektiven Landesverteidigung und der Einhaltung der unumgänglichen NATO-Verpflichtungen eine abgestimmte, vielleicht auf Jahrzehnte ausgelegte Verteidigungs- und Bündnisstrategie erfordern, die die Ukraine einbezieht und nachhaltig schützt. Wahrscheinlich wird man das nachholen müssen, was man aus allzu großer Rücksichtnahme auf Russland vor etlichen Jahren vermieden hat: den berechtigten Wunsch der Ukraine auf NATO-Mitgliedschaft zu erfüllen.