„And no more shall we part. It will no longer be necessary.“ (Nick Cave, australischer Singer-Songwriter)
Dr. Gerhard Schüsselbauer
Deutschland befindet sich nach dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition zwischen Lähmung, Katharsis und fundamentalen Richtungsentscheidungen im Jahr 2025. Wie steht es um den gegenwärtigen Zustand des größten und einflussreichsten Landes und der größten Volkswirtschaft Europas? Das haushaltstechnische Erdbeben um die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds KTF läutete bereits vor einem Jahr den Anfang vom Ende der Koalition ein. Verstärkt wurden die gravierenden Divergenzen aufgrund der prinzipiellen und unversöhnlichen Unterschiede in den wirtschaftspolitischen Positionen. Vor allem geht es um die Prioritäten in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung – mehr oder weniger und vor allem welche konkreten staatliche Eingriffe, welche Prozess- und Industriepolitik und welche sozialpolitischen Weichenstellungen aufgrund des demographischen Wandels, der in seiner Dynamik nicht aufzuhalten ist, sondern ein Faktum darstellt?
Durch wesentlich verbesserte Erwerbsanreize und zwingend notwendige Reformen in der Zuwanderungspolitik kann das Absinken des Arbeitsvolumens aufgehalten werden, denn im Jahr 1991 arbeiteten 40 Mio. Erwerbstätige so viel wie heute 45 Mio. Erwerbstätige. Wir haben zwar deutlich mehr Erwerbstätige im Arbeitsmarkt, was sehr wünschenswert ist, aber arbeiten deutlich weniger als Erwerbstätige vor Jahren. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Beschäftigten – also Voll- und Teilzeit – liegt nun bei 34,7 Stunden. Die eines/r Vollzeitbeschäftigten beträgt laut Statistischem Bundesamt 40,4 Stunden. Nur eine zielorientierte Migrationspolitik und verstärkte Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, können den gravierenden Fachkräftemangel reduzieren und den steigenden Finanzierungsbedarf in den Sozialversicherungen (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) abdecken.
Was sind jedoch die Gründe bzw. die drei Fragezeichen für die strukturellen Schwächen in der Wirtschaftsstruktur sowie der politischen Landschaft Deutschlands, die die Alarmglocken schrillen lassen?
- Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Regierungsführung als wichtigstes öffentliches Gut in der politischen Öffentlichkeit: Der Bruch der Ampelkoalition hinterlässt einen Schaden, der kaum abzuschätzen ist und ist Wasser auf die Mühlen rechts- und linkspopulistischer Strömungen und Parteien, die nach einfachen Lösungen und vor allem „Führerschaft“ à la Donald Trump lechzen. Das Jahr 2025 wird neben der Fortdauer des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auch große sozial- und wirtschaftspolitische Herausforderungen in Deutschland und in der EU mit sich bringen. Das Desaster um die deutsche Finanzpolitik, vor allem die Struktur und Höhe der Staatsausgaben, gekoppelt mit einer ungeheuer aufgeblähten Bürokratie, offenbaren schonungslos die Schwachstellen der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Letztlich führten diese Spannungen zum jetzigen politischen Vakuum. Die neue, wie auch immer aussehende (Minderheits-)Regierung wird die große Aufgabe haben, den Spagat aus Freiheit, Ausgaben für die Sicherheit und Finanzierung sozialer Sicherung zu bewältigen.
- Schwaches Wachstum des Produktionspotenzials: Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch die Energiepreiskrise haben schonungslos offenbart, dass die Abhängigkeit von energieintensiven Industriezweigen der Hochtechnologie massive Auswirkungen nach sich zieht. Die benötigte Frischzellenkur der deutschen Energiewirtschaft und die digitale Umstrukturierung der wichtigsten Wirtschaftsbereiche, der staatlichen Verwaltung und der Bildungslandschaft hinken stark hinter der erforderlichen Dynamik hinterher. Der Modernitätsgrad des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks in Deutschlands ist seit langem rückläufig, was ein veritables Wachstumshemmnis darstellt. Dazu kommt eine geradezu dramatische Veränderung in der Altersstruktur der Beschäftigten. Nicht nur der Kapitalstock unserer Volkswirtschaft altert, sondern auch die Beschäftigung!
- Veränderte weltwirtschaftliche Dynamik im Welthandel und stagnierende niedrige Einkommen:
Die kommende Trump-Administration liefert schon jetzt einen Vorgeschmack auf eine neue protektionistische US-Handelspolitik gegenüber Deutschland, der EU und vor allem gegenüber China. Für die Exportnation Deutschland wird das massive handelsvernichtende Effekte bedeuten. Zudem wird es für die deutsche Volkswirtschaft immer wichtiger, die wirtschaftliche und klimaneutrale Transformation im EU-Binnenmarkt maßgeblich zu gestalten und nicht nur zähneknirschend zu erdulden. Die Konkurrenz aus China im Bereich E-Mobilität oder anderer Technologiegüter fordert die deutsche Industrie und das verarbeitende Gewerbe in einem Maße heraus wie seit Jahren nicht.
Ein Blick in unser Land legt nahe, dass seit 2005 die Haushaltsnettoeinkommen der unteren Einkommensgruppen in Deutschland stagnieren. Immer mehr Gruppen der Gesellschaft sind daher von Armutsgefährdung betroffen. Dies trifft insbesondere auf im Ausland geborene und zugewanderte Personen zu. Nur durch verstärkte Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt sowie durch verstärkte Ausbildung kann diesem Trend entgegengewirkt werden. Armutsgefährdung ist mit problembehafteten Merkmalen wie Bildungsbenachteiligung, mangelnder Chancengerechtigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit sowie schlechterer Gesundheit korreliert. Daher ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft, in diesen Bereichen verstärkt zu investieren.
Bislang sind wir in Deutschland und in der EU von einer veritablen Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit verschont geblieben, auch weil sich wegen demographischer Entwicklungen eine Robustheit des Arbeitsmarktes zeigt. Im Gegenteil, der Fachkräftemangel in vielen Bereichen der Wirtschaft (Gesundheit, Bildung, Industrie, Handwerk, Transport) seinerseits erweist sich als echtes Wachstumshindernis. Eine lange Phase der Stagnation der volkswirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands würde nicht nur eine Belastung der Leistungsfähigkeit des Landes bedeuten, sondern auch die ohne fragile politische Stabilität massiv gefährden.