von Mariella Scheer
Jedes Jahr um diese Zeit denke ich an den Osterspaziergang aus Goethes „Faust“, den ich in einem Anflug von karfreitäglicher Langeweile als Grundschülerin einmal auswendig lernte, um meinem Vater eine Osterfreude zu bereiten, und dann am Sonntag vor dem Eiersuchen stolz herunterbetete. Ziemlich lange assoziierte ich Goethe danach ausschließlich mit von Eise befreiten Strömen und Bächen, grünendem Hoffnungsglück, buntem Gewimmel und des Dorfs Getümmel. Aber Ostern ist doch wohl mehr als nur Frühling, und der „Faust“ ist auch mehr als nur ein Stückchen schöne Literatur.
Um denn auch beim „Faust“ zu bleiben: In einer kleinen vorösterlichen Reflexion des hohen Kirchenfestes landete ich gedanklich bei der Gretchenfrage. Obwohl der Begriff den meisten geläufig ist, so kann die Kenntnis über die konkrete Frage, die Gretchen im Faust stellt, nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Die Gretchenfrage lautet: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ An Ostern stellt sich diese Frage meines Erachtens mit schöner Lebendigkeit.
Mehr als etwa zu Weihnachten unterscheiden sich nämlich an Ostern bereits die Zugänge der großen christlichen Konfessionen in Deutschland. Als Protestantin ist für mich Karfreitag der wichtigste und höchste Feiertag. Als ich einmal längere Zeit in Polen verbrachte, schockierte es mich maßlos, dass der Karfreitag dort ein regulärer Arbeitstag ist. „Sterben kann jeder,“ sagt dazu augenzwinkernd ein Katholik meines Vertrauens. „Auferstehen hingegen…“ Bekanntermaßen feiern Katholiken den Ostersonntag als wichtigsten Tag des Kirchenjahres. Auch bei säkularisierten Christen oder Agnostikern in meinem Bekanntenkreis schlägt diese konfessionelle Prägung in der Priorisierung der Feiertage zu Ostern häufig durch.
Am vergangenen Dienstag begann außerdem das Pessachfest, so steht es in meinem interkulturellen Kalender des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Erschreckend gering sind indes meine Kenntnisse über dieses Fest, ebenso wie ich mir im Winter stets vornehme, mich über Chanukkah zu informieren und es bislang nie bewerkstelligte. Wie hält man’s also mit der Religion – eingschränkt? Vielleicht ist gerade Ostern eine Gelegenheit, über den Tellerrand zu schauen, auf andere Konfessionen, andere Religionen.
Mariella Scheer ist wissenschaftlich-pädagogische Mitarbeiterin am GESW und freut sich auf das im Mai anstehende Multiplikator*innenseminar zu Interreligiöser Bildung im GESW – hier geht es zum Programm.
Das gesamte Team vom GESW wünscht frohe Ostern!