von Mariella Gronenthal
Vom 16. bis zum 18. November 2017 fand im GESW durch die Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung ein Multiplikator*innenseminar unter dem Titel „Erbe der Reformation – Religionskontakte in Deutschland“ statt, das wir bereits hier angekündigt hatten. Obwohl der Teilnehmendenkreis überschaubar blieb, handelte es sich um eine spannende und für die Anwesenden informative und produktive Veranstaltung.
Das Seminar begann mit einer Übung zum interreligiösen Dialog, die von Larissa Zeigerer von der Initiative Jung, Gläubig, Aktiv (JUGA) durchgeführt wurde. Im Workshop setzten sich Teilnehmende mit bestimmenden Parametern der großen monotheistischen Religionen, also des Judentums, des Christentums, des Islam und des Bahaitums auseinander, kamen über persönliche Erfahrungen ins Gespräch und lernten sich besser kennen. Anschließend stellte Frau Zeigerer das Projekt Interreligious Peers vor, mit dem in Berlin Workshoparbeit von interreligiösen Tandems in Schulen angeboten werden. Dort ist dieses Format vor allem deswegen von Relevanz, weil es in Berlin keinen Religionsunterricht gibt. Teilnehmende Lehrer*innen aus NRW glichen die Berichte mit ihrem Schulalltag ab. Dabei stachen die Spezifika und Vorteile außerschulischer Bildungsarbeit deutlich hervor. Abends reflektierten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen aus Ökumene und interreligiösem Dialog in einem World Cafe.
Am nächsten Tag setzte sich die Gruppe zunächst mit Zielen interreligiöser Bildung auseinander und reflektierte Anschlussmöglichkeiten an andere Disziplinen. In einer Gruppenarbeit entstanden drei Vorschläge für Projektarbeiten, die die Teilnehmenden visualisierten:
In Bezug auf das erste Projekt entspann sich eine Diskussion um das strenge Visualisierungsverbot im Islam und die Frage danach, inwiefern muslimische Schüler*innen mit dem Begriff des Gottes*bildes* überhaupt abgeholt werden können. Das zweite Projekt legte den Fokus auf die interdisziplinäre inhaltliche Ausrichtung an der Schnittstelle von technik und Religion. Die Grzuppe diskutierte darüber, inwiefern auch das Verständnis von Wissenschaft in den verschiedenen Religionen dabei zur Debatte stehen könnte. Das letzte Projekt regte insbesondere Gespräche zur praktischen Umsetzung multifachlicher Projektarbeit im Schulalltag an.
Am Nachmittag begrüßte die Gruppe Yvonne Försterling vom Forum Offene Religionspolitik (FOR). Sie referierte über die Zusammenhänge von Religion und Populismus. Dabei benannte sie sowohl strukturelle Ähnlichkeiten wie den Bezug auf „gefühlte Wahrheiten“ und die starke emotionale Komponente, stellte aber insgesamt vor allem die Instrumentalisierung von Religion in populistischer Rhetorik in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Dabei kam es zu einer angeregten Diskussion über die Konstruktion des Islam als eines „monströsen Unsichtbaren“, das der Populismus als eine gesellschaftliche Bedrohung exkludiert.
Am Abend kamen die Teilnehmenden nochmals zur Diskussion zusammen. Da die Wertevermittlung zuvor als zentrale Aufgabe (inter-)religiöser Bildung genannt worden war, assoziierte und reflektierte die Gruppe verschiedene religiöse und gesellschaftliche Werte visuell in „Werteblumen“ und diskutierte anschließend Überschneidungen und Konfliktlinien.
In der Debatte traten Herausforderungen im Schulalltag durch unterschiedliche religiöse Feiertage oder Speisevorschriften zutage. Auch Vorurteile gegenüber verschiedenen Religionsgemeinschaften wurden thematisiert. So berichtete ein Teilnehmer, der an einer religionssoziologischen Dissertation arbeitet, vom Vergleich einer Interviewpartnerin einer Moschee mit einem Atomkraftwerk. Man wisse um die Existenz beider Bauwerke, in unmittelbarer Nachbarschaft aber bereiteten sie ihr Angst. Auch Vorbehalte gegenüber Religiosität an sich wurden besprochen. Aus dem Umfeld berichteten die Teilnehmenden sogar, dass der lebendige christliche Glaube oftmals mit größerer Skepsis aufgenommen werde als der islamische.
Der dritte Tag begann mit einem Vortrag zu Religion und Literatur von Mariella Gronenthal vom GESW und beschäftigte sich sowohl mit methodischen Ansätzen der Textarbeit als auch mit religiösen Motiven in Literaturtheorie und in der Belletristik. Dabei wurde besonders deutlich, dass religiöse und vor allem jüdisch-christliche Ästhtetik und Motivik in der deutschen Kultur zwar tief verankert sind, jedoch oft so stark konventionalisiert sind, dass der Religionsbezug gänzlich verschwindet. Die Gruppe diskutierte lebhaft etwa über die gänzlich säkularisierte Darstellung von Engeln in der Werbung. Im Weiteren ging es auch über die Instrumentalisierung der Literatur zur Verbreitung bestimmter religiöser Wertvorstellungen, so etwa in der Twilight-Saga von Stephenie Meyer, die den mormonischen Glauben metaphorisiert.
Zum Abschluss war David Yuzva Clement geladen, der als Sozialpädagoge und Islamwissenschaftler zur Radikalisierung Jugendlicher forscht. Er gab einen weitreichenden Überblick über die Lebenswirklichkeiten muslimischer Jugendlicher in Deutschland, reflektierte die Begriffe von Jugend und Adoleszenz ebenso wie die von Radikalität, Fundamentalismus, Ideologie und Extremismus und stellte die Möglichkeiten der Pädagogik heraus. Dabei plädierte er besonders für eine starke Lebensweltorientierung und eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Erfahrungswelten und Bedürfnissen Jugendlicher. Die Diskussion wurde durch die persönlichen Erfahrungen von Herrn Clement in der Jugendarbeit in Bonn sehr bereichert. Als besonders interessante Anschlussfragestellung erwies sich die Reflexion von Parallelen zwischen politischer Radikalisierung, etwa im rechten Milieu, und religiöser Radikalisierung.
Wir danken allen Teilgeber*innen der Veranstaltung und freuen uns auf gemeinsame Anschlussprojekte!
Mariella Gronenthal ist pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin am GESW. Derzeit plant sie für das GESW eine internationale Jugendbegegnung mit Bosnien und Rumänien zum interreligiösen Dialog.