von Dr. Gerhard Schüsselbauer
Rechtspopulistische Parteien, Strömungen und Bewegungen scheinen in Europa unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein. Die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 könnten zum richtungsweisenden Lackmustest für die Zukunft demokratischer Strukturen in Europa werden. Die tiefgreifende Krise der liberalen Kräfte und Eliten sowie die ausgeprägte Schwäche der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien hinterlassen eine Lücke, die von rechts- und auch von linkspopulistischen Parteien und Strömungen gnadenlos ausgenutzt wird.
In einer völlig veränderten Medien- und Öffentlichkeitslandschaft und der Dominanz von Social Media ist klassische Demokratie in Zeiten von Fake News praktisch nicht mehr möglich. Vor allem der Rechtspopulismus bedient dabei tradierte Sehnsuchtsmuster nach Abschottung und Ausgrenzung im neuen Gewand. Populismus ist dabei viel weniger ein politikwissenschaftlicher Substanzbegriff als ein Relationsbegriff des „Anti“! Anti-Elitarismus, Anti-Establishment, Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik – das sind zentrale Begriffe, derer sich Populisten bedienen. Komplexitätsreduktion, Dramatisierung und Emotionalisierung prägen die massenmediale Kommunikation wie auch die Logik des Populismus.
Die nachfolgende PowerPoint-Präsentation betrachtet die Entwicklungen der ultranationalistischen und rechtspopulistischen Regierungsparteien in Polen und Ungarn genauer und analysiert zudem Aspekte, Faktoren und Prozesse, die zum Aufstieg von Jarosław Kaczyński und Viktor Orbán beigetragen haben. In der Betrachtung spielt auch das „fremde“ Bild vom „Mythos“ des Westens eine maßgebliche Rolle, das nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und Sozialismus eine Identitätslücke hinterließ und das nun rigoros von Rechtspopulisten und Ultrakonservativen ausgenutzt wird. Die Angst vor Überfremdung, Massenzuwanderung und generell Migration aus dem außereuropäischen Ausland dient dabei als „perfektes“ Instrument für die Schaffung von angeblich politisch „homogenen“ Gemeinschaften. Sowohl die polnische als auch die ungarische nationalkonservativ-rechtspopulistische Regierung haben aus der Vergangenheit gelernt und wissen, dass es beim Umbau des politischen Systems und der Erosion der Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive vor allem auf zweierlei ankommt: das Justizwesen zwingend unter Regierungskontrolle bringen und die Medienvielfalt eindämmen, und hier vor allem das Fernsehen kontrollieren! Beide Regierungen sitzen somit fest im Sattel und müssen kaum politischen Widerstand fürchten, denn zu sehr haben die Oppositionsparteien mit eigenen Identitäts- und Konzeptionsdefiziten zu kämpfen.
Lediglich der zivilgesellschaftliche und außerparlamentarische Widerstand in Form von Massenbewegungen gibt Anlass zur Hoffnung hin zu einer Wende. Noch sind es bei weitem nicht ausreichend zivilgesellschaftliche Kräfte, die sich dem von Viktor Orbán ausgerufenen „Beginn und Aufbau der illiberalen Demokratie“ entgegenstemmen. Darüber hinaus verstehen sich Kaczyński und Orbán als “Retter des Abendlandes“ im Sinne einer christlichen Gegenrevolution gegen das liberale und multikulturelle Weltbild einer offenen Gesellschaft, die den Islam als einen integralen Teil in Europa versteht. Diese massiven Gegensätze werden die permanente Uneinigkeit innerhalb des Europäischen Rates im Hinblick auf die Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik auf Dauer verstärken und zementieren. Schon die jüngsten Entwicklungen in der bundesdeutschen Flüchtlings- und Asylpolitik zeigen, wie sehr rechtskonservative und populistische Parteien und Strömungen Einfluss nehmen und tektonische Verschiebungen bewirken.
Dr. Gerhard Schüsselbauer ist Institutsleiter und wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter am GESW. Der Artikel entstand unter Bezugnahme auf seinen Vortrag Populismus im östlichen Mitteleuropa – eine Spurensuche. Die zugehörige Powerpoint-Präsentation stellen wir hier zum Download bereit.