von Oleksandra Yeshchenko
Bereits als wir uns im September von unseren tunesischen Freundinnen und Freunden verabschiedeten und ihnen einen guten Flug nach Tunesien gewünscht haben, konnte wohl jede*r von uns kaum abwarten, selbst nach Tunesien zu fliegen. Denn nur in einer Woche sind wir zu einer Gruppe gewachsen und haben miteinander unzählige schöne Momente geteilt. Dennoch mussten wir uns darauf einstellen, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis wir alle wieder zusammenkommen. Umso größer war aber unsere Aufregung, als der Kalender die letzen Novembertage abzeichnete. Für die deutschen Teilnehmer*innen bedeutete dies: Geschenke besorgen, sich in die Geschichte des tunesischen Staats einlesen und nochmal Geschenke besorgen, denn die tunesische Großzügigkeit bei Gastgeschenken war fest in Erinnerung geblieben.
Bei der Ankunft hat uns Hammam Sousse mit leichtem Regen und fröhlichen Gesichtern der tunesischen Teilnehmer*innen willkommen geheißen. Ihre Reihen wurden inzwischen um zwei Freiwillige aus Spanien verstärkt, die an der Programmgestaltung mitgearbeitet haben.
Das entworfene Programm vereinigte in sich zwei Aspekte: den Politischen und den Kulturellen.
So haben wir am zweiten Tag dank dem City-Game wichtige Orte und schöne Ecken der Stadt Hammam Sousse für uns entdeckt. Auch die naheliegenden Städte Sousse, Kairouan und Monastir haben wir im Laufe der Woche besichtigt. Mich persönlich brachten diese Ausflüge in Berührung mit dortigen Traditionen und Gepflogenheiten und erleichterten das Verständnis der politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre. Denn bei dem City-Game sind wir auch in reinen Wohnvierteln gewesen, haben Freunde und Bekannte einiger tunesischer Teilnehmer*innen kennengelernt, gesehen, in welchen Organisationen sich unsere Freundinnen und Freunde engagieren, und sogar einen Besuch bei Oma abgeleistet! Auch der Besuch des Bourguiba-Mausoleums in Monastir ging über die Grenzen eines bloßen Sightseeing hinaus: Dabei entwickelte sich eine kleine Diskussion über den Regierungsstill des ersten Präsidenten und Favoriten des Volkes Habib Bourguiba sowie darüber, inwiefern die Politik des im Jahr 2011 gestürzten Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali der seines Vorgängers ähnelte oder davon abwich.
Was die politischen Programmpunkte angeht, so hatten wir nicht nur die Gelegenheit, an einer Fragerunde mit dem Gouverneur des Gouvernements Sousse teilzunehmen, sondern konnten auch das tunesische Parlament in Tunis besuchen. Besonders hervorheben möchte ich die Diskussionen mit lokalen NGOs und anderen sozialen Akteueren. In Tunis waren wir beispielsweise im Arabischen Institut für Menschenrechte und nutzten in vollem Umfang die sich bietende Möglichkeit, Fragen zu stellen. Dadurch merkte man schon, welche Gedanken die Tunesier*innen unter uns beschäftigen: Ob das Gesetz über die gleichen Erbschaftsrechte für Frauen die erforderliche Mehrheit im Parlament findet; ob das Institut die Durchführung von menschenerniedrigenden Tests zur Feststellung der Homosexualität unterbinden kann…
Aber auch in Sousse hatten wir reichlich Anlässe, uns mit den aktuellen sozialen Herausforderungen der tunesischen Gesellschaft auseinanderzusetzen: Gespräche mit CREDIF (Center for Research, Studies, Documentation and Information on Women), Amnesty International, Red Crescent sowie mit einem Imam spiegelten die Kontroversen in der tunesischen Gesellschaft wider und machten nochmals deutlich, wie sehr sich das Leben nach der Revolution geändert hat.
Am letzten Tag luden tunesische Teilnehmer*innen die Deutschen zu sich nach Hause ein. Dabei wurde gekocht, gegessen, gelacht und viel gesprochen. Eine Art auf Wiedersehen zu sagen, denn wir haben es vor, uns wieder zu sehen!
Oleksandra Yeshchenko stammt aus der Ukraine und ist Studentin an der Universität Heidelberg im Fach Jura mit dem Schwerpunkt Internationales Recht. Sie war Teilnehmerin am deutsch-tunesischen Jugendaustausch „Demokratie leben und gestalten“ 2018.