Wollen wir mehr Europa wagen?

[cd/mg] Im Dezember 2018 kamen im Rahmen eines Europaseminars Jugendliche aus Siegen und Umgebung in Vlotho zusammen, um einen Europäischen Konvent zu simulieren. Im Zuge des Rollenspiels entstand der unten abgedruckte Text, der einen journalistischen Beitrag zur Diskussion zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Parlaments und den sieben Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Schweden und Ungarn leistet.

Vlotho. Heute trafen sich die Vertreter aus Ungarn, Italien, Frankreich, Deutschland, Polen, Schweden und den Niederlanden sowie Vertreter der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament im Rahmen des „Europäischen Konvents“ unter dem Titel „Ein geeintes Europa“, um genau diese Fragestellung zu beantworten. Debattiert wurden die Quotenregelung für die Verteilung von Asylsuchenden, die Einführung eines / einer direkt gewählten EU-Präsident/ -in, der europaweite Ausstieg aus der zivilen Atomtechnologie sowie die Finalität der EU zur Klarstellung der Grenzen der EU.

Bereits bei der Diskussion über die Quotenregelung für die Verteilung von Asylsuchenden wurde deutlich, wie unterschiedlich die Interessen der verschiedenen Staaten sind. Besonders die Vertreter Ungarns und Polens äußerten Bedenken gegenüber einer solchen Regelung. In der Bevölkerung bestünde die Angst vor zu vielen Migranten und in diesem Zusammenhang auch vor steigender Kriminalität. Vor allem die Vertreter Frankreichs und Deutschlands versuchten, diesen Vorurteilen zu widersprechen, stießen jedoch an ihre Grenzen. Zudem stellten die verschiedenen Vertreter immer neue Forderungen und Einschränkungen, sodass die Diskussion beinahe außer Kontrolle geriet und die Kommission ihre Vorschläge des Öfteren neu formulieren musste. Am Ende einigte man sich auf eine Quotenregelung, wobei die Quote für jeden Staat anhand von diversen Faktoren einzeln bestimmt werden solle. Ob die Umsetzung auch erfolgreich sein wird, ist fragwürdig und muss die Zukunft zeigen.

In der anschließenden Debatte um die Einführung eines / einer direkt gewählten EUPräsident/-in gab es erneut große Meinungsverschiedenheiten. Während die einen Bedenken äußerten, dass diese/ -r Präsident/ -in über zu viel Macht verfügen könnte, betonten die anderen die symbolische und repräsentative Funktion eines solchen Oberhauptes. Immer wieder kam es zu Missverständnissen zwischen den Staaten, insbesondere, da die Aufgaben und Funktionen des Oberhauptes nicht eindeutig formuliert wurden. Mit klareren Formulierungen hätte eine Einigung oder zumindest eine Abstimmung sicherlich schneller herbeigeführt werden können.

Bei der Diskussion um den europaweiten Ausstieg aus der zivilen Atomtechnologie ging es erneut sehr chaotisch her. Auch in diesem Fall wurde unklar formuliert, ob man eine
Reduktion der Atomtechnologie auf einen gewissen Prozentsatz oder um einen gewissen Prozentsatz forderte. Zum wiederholten Male mussten die Kommission und die
Moderatoren eingreifen, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen. Teilweise ließen sich die Vertreter nicht ausreden, sodass die Moderatoren eingreifen und Zwischengespräche unterbinden mussten.

Bei der letzten Debatte des Tages um die Finalität der EU gab es weit mehr
übereinstimmende Meinungen. Lediglich die Finalität in Richtung des Ostens wurde stark diskutiert. Während einige die Möglichkeit, Staaten wie Russland in die EU aufzunehmen, ablehnten und sich wenig kompromissbereit zeigten, forderten andere, sich nicht gegenüber weiteren Staaten zu verschließen. Die Kompromissbereitschaft ließ
zunehmend nach und eine Entscheidungsfindung erschien immer unwahrscheinlicher. Das Ergebnis, die Finalität in Richtung Osten zunächst nicht festzulegen, erscheint wenig
befriedigend.

Insgesamt fiel auf, dass die Interessen der vertretenen Staaten weit auseinander gingen und Einigungen nur schwer herbeigeführt werden konnten. Es gab zum Teil große Abweichungen zu den von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen. Genauere
Formulierungen der Forderungen sowie eine größere Kompromissbereitschaft hätten die Diskussionen zudem deutlich vereinfacht.