Paweł Adamowicz und Jerzy Popiełuszko – Momente des Innehaltens 2019 und 1984


Ein Kommentar von Dr. Gerhard Schüsselbauer

„It’s over with the liberal democracies… here comes the jungle… no more European ideas of good and bad.”

„Bells & Circles“ von Underworld & Iggy Pop, 2017

Jerzy Popiełuszko wurde im Herbst 1984 von Mördern des staatlichen polnischen Sicherheitsdienstes liquidiert. Paweł Adamowicz wurde im Januar 2019 von einem hasserfüllten Einzeltäter niedergestochen. Auf den ersten Blick zwei völlig verschiedene Zeiten und politische Systeme: Einst der kommunistische Machtapparat eines Landes, in dem das Leben von Dezember 1981 bis Mitte 1983 vom Kriegsrecht dominiert war. Heute ein wiederum völlig gespaltenes Land, das von einer ultrakonservativen, rechtsnationalen Regierungspartei PiS beherrscht und moralisch total ruiniert wird. Und doch vereint beide Tragödien ein Aufschrei des öffentlichen Bewusstseins aufrechter Menschen, die an die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft und eines selbstbestimmten Lebens toleranter Menschen glauben.

Schockierend ist, dass der De-facto-Ministerpräsident Jarosław Kaczyński nicht an der Schweigeminute des polnischen Parlaments Sejm und an den Trauerfeierlichkeiten zur Beisetzung des ermordeten Danziger Bürgermeisters Adamowicz teilnahm. Emotional besser allerdings für die Trauernden, die sich nicht von einem Klima des Hasses und der Verachtung und vor allem der Ausgrenzung anstecken lassen.

Langgasse in Danzig / Ul. Długa w Gdańsku

Paweł Adamowicz stand seit Jahren in krassem Gegensatz zur Rhetorik der herrschenden Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“. Toleranz, friedliches Miteinander und liberale Werte, dafür gingen im Januar 2019 viele Tausende auf die Straßen in Polen, um wenigstens einen Moment innezuhalten. Noch weitaus dramatischer waren die Folgewirkungen der heimtückischen Ermordung des Seelsorgers der anti-kommunistischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność. Popiełuszkos Entführung und Beseitigung wurde zu einem Märtyrer-Tod, der Hunderttausende auf die Straßen rief, um Anteil zu nehmen, um sich von der herrschen Kaste der Kommunisten abzuwenden, aber auch um aufzubegehren. Nur dauerte es noch weitere fünf Jahre bis 1989, bis die kommunistische Einparteienherrschaft mit ihrem Unterdrückungsapparat am Ende war.

Nach Adamowicz’s Tod wurde vielfach zur Einkehr und zur Versöhnung aufgerufen. Es steht allerdings zu befürchten, dass der Mord im Rahmen des kommenden Parlamentswahlkampfs instrumentalisiert wird. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński macht schon lange Zeit den Eindruck eines psychisch sehr labilen, hasserfüllten Mannes, der den Tod seines Zwillingsbruders Lech bei der Flugzeugtragödie von Smolensk im April 2010 niemals überwunden hat. Nach wie vor inszeniert er einen psychopathologischen Opfermythos und geht von einem Mordanschlag aus.

Eine entscheidende Rolle wird in den nächsten Monaten auch die polnische katholische Kirche einnehmen. Sie kämpft gegenwärtig gegen einen irreparablen Imageverlust, vor allem verstärkt durch den überaus erfolgreichen antiklerikalen Film „Kler“, der die Machenschaften und kriminellen Entgleisungen innerhalb der Kirche aufs Groteskeste auf die Spitze treibt. Die Diskussionen um sexuellen Missbrauch und Korruption haben in den letzten Monaten wahre Erdbeben ausgelöst. Keine Kirche darf sich in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Staat in einem strafrechtsfreien Raum bewegen! Und keine Regierung, auch wenn sie 2015 demokratisch an die Macht gewählt wurde, darf die Gesellschaft eines EU-Mitgliedslandes derart mit Ausgrenzung, Intoleranz und medialer Homogenisierung überziehen und versuchen, andersdenkende Menschen einzuschüchtern oder gar mundtot machen!

„Fürchtet Euch nicht!“ – diesen berühmten Appell Johannes Paul II. vom Oktober 1978 möchte man nun allen Oppositionellen Polens im dramatischen Wahljahr 2019 mit auf den Weg geben.

Dr. Gerhard Schüsselbauer ist Institutsleiter und wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter am GESW.