Covid-19-Pandemie – der große externe Schock und die dramatischen realwirtschaftlichen Auswirkungen

Von Gerhard Schüsselbauer

Was unterscheidet die Finanz- und Schuldenkrise 2008/2009 von der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch die weltweite Covid-19-Pandemie? Anders als bei der tiefen weltwirtschaftlichen Rezession vor über zehn Jahren verläuft die ökonomische Infektionskette nicht ausgehend vom Platzen der Immobilien- und Finanzierungsblase, sondern von einer massiven gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragereaktion auf einen nie dagewesenen externen Schock. 

Nicht Leistungsbilanz- oder Zahlungsbilanzungleichgewichte sowie der rasante Zuwachs der Staatsverschuldung und die Schockwellen, ausgelöst durch das katastrophale Missmanagement vieler Banken und Finanzinstitute, bestimmen das gegenwärtige weltwirtschaftliche Bild. Es sind vielmehr sehr konkrete Produktionseinbrüche und der Abschwung der realwirtschaftlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen weltweit auf der Angebotsseite aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie. Im Gefolge befinden sich nun sowohl die inländische Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern als auch die Weltnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, auch und besonders im Tourismussektor, im steilen Sinkflug und münden in eine schwere und wahrscheinlich langandauernde Rezession. Gingen im März noch Analysen von einer kurzen, aber heftigen Rezession aus, so muss das Bild nun korrigiert werden. Einer ersten Einschätzung nach würde nach einem heftigen Einbruch der volkswirtschaftlichen Leistung eine schnelle Phase der Erholung folgen (V-Verlauf der Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes). Mittlerweile mehren sich Anzeichen eines L-Verlaufs, also eines drastischen Einbruchs des realen Wirtschaftswachstums verbunden mit einem tiefen und möglicherweise langandauernden konjunkturellen Abschwung. So blicken Deutschland, die EU und die gesamte Weltwirtschaft nun in den Abgrund und sehen sich mit einer die meisten Wirtschaftssektoren lähmenden Schockstarre konfrontiert.

Unstrittig ist, dass die hohen Kosten für das Gesundheitswesen zur Eindämmung des Verlaufs der Pandemie ebenso zwingend sind wie die vielfältigen staatlich verordneten Schutzmaßnahmen. Zusammenbrechende Gesundheitssysteme und exorbitant steigende Zahlen an Todesopfern kann keine Gesellschaft verkraften. Die erste Priorität der Regierungen muss sein, möglichst viele Leben zu retten! Daher werden viele staatliche Mittel in das Gesundheitssystem umgeschichtet. In Deutschland führen zudem die finanzpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen in diesem Jahr zu einem Rekorddefizit im gesamtstaatlichen Haushalt von mindestens 159 Mrd. Euro, während die Zahl der Kurzarbeiter*innen auf mindestens 2,5 Mio. Erwerbstätige anwachsen wird. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich dürfte der Anstieg der Arbeitslosenquote nicht so dramatisch ausfallen, da das Instrument der Kurzarbeit Erwerbstätige über einen relativ langen Zeitraum in der Beschäftigung halten wird. Ganz anders stellt sich die Arbeitsmarktsituation in den USA dar. Innerhalb weniger Wochen dürfte die Arbeitslosenquote auf bis zu 20 Prozent angewachsen sein, da in den USA arbeitsmarktpolitische Instrumente wie in EU-Ländern fehlen. Doch auch in Deutschland wird das System der Kurzarbeit nicht alle realwirtschaftlichen Probleme der Produktionseinbrüche verhindern und eine Volkswirtschaft gleichsam gegen steigende Arbeitslosigkeit „immunisieren“ können. Es wird zwangsläufig sowohl im verarbeitenden Gewerbe und besonders in vielen Dienstleistungssektoren zu einem massiven Stellenabbau kommen.

Entscheidend für die Schwere, Tiefe und Länge der Rezession sind nicht nur die Dauer der massiven Einschränkungen und Schutzmaßnahmen in Deutschland, sondern auch die weltwirtschaftlichen Entwicklungen, von denen die deutsche Exportwirtschaft wegen der globalen internationalen Arbeitsteilung in besonderem Maße abhängt. Die wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen umfassen die Stärkung der sozialen Sicherung, umfangreiche geldpolitische Maßnahmen der EZB sowie die beispiellosen fiskalischen Unterstützungsprogramme, die zu einem exorbitanten Anstieg der Staatsverschuldung führen. Gleichwohl müssen nun alle Instrumente der Wirtschaftspolitik eingesetzt werden, um die dramatischen Auswirkungen des konjunkturellen Einbruchs zu lindern. Vor allem die Förderung des Sektors der klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU), in dem ein Großteil der ca. 45 Mio. Beschäftigen in Deutschland tätig ist, muss im Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Bestrebungen stehen.

Weltwirtschaftlich ist der Tourismus einer der bedeutsamsten und vor allem arbeitsintensivsten Wirtschaftssektoren. Hier wird es zweifellos Länder besonders stark treffen, deren Volkswirtschaften in besonderem Maße vom Reiseverkehr abhängen. Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Kroatien und auch die Türkei müssen mit massiven Realeinkommenseinbußen und hohen Arbeitslosenzahlen mindestens für dieses Jahr rechnen. Stärker industriell geprägte Länder wie Deutschland, die Niederlande sowie Polen und Tschechien könnten einen wesentlich robusteren Arbeitsmarkt aufweisen und daher die Krise schneller überwinden. Außerordentlich hart betroffen sind nun erdölexportierende Staaten wie Venezuela, Russland, Iran, Irak oder Libyen vom dramatischen und nie dagewesenen Verfall der Rohölpreise trotz der Angebotsverknappung durch Saudi-Arabien und Russland. Die ausgesprochen umstrittene und umweltzerstörende Fracking-Industrie in Nordamerika liegt nun am Boden, da der rasante Preissturz die Rentabilität der fremdfinanzierten Schieferölförderung massiv gefährdet und mittlerweile negative Cash-flows generiert.

Die Weltwirtschaft und die EU benötigen einen neuen, fundamental ausgerichteten und gigantischen „Marshall Plan“, der verschiedene geld-, fiskal- und entwicklungspolitische Instrumente vereint, um die gravierendsten Auswirkungen der weltweiten Rezession abfedern zu können. In besonderem Maße ist daher auch die internationale und europäische Solidargemeinschaft herausgefordert. Beobachtet man allerdings die gegenwärtige Rückkehr zu nationalstaatlichen Lösungsansätzen wie Grenzschließungen und nationalen Alleingängen bei Hilfsprogrammen ist hier gesunde Skepsis angebracht. Es wird alle wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Anstrengungen brauchen, um das „Infektionskoma“ der Weltwirtschaft zu überwinden.

Quellen:
Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2020: Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen – http://gemeinschaftsdiagnose.de/2020/04/08/wirtschaft-unter-schock-finanzpolitik-haelt-dagegen/
Tackling the Coronavirus (Covid-19) crisis together – http://www.oecd.org/coronavirus/en/

Coronavirus-Pandemie stürzt deutsche Wirtschaft in schwere Rezession – https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/coronavirus-pandemie-stuerzt-deutsche-wirtschaft-in-schwere-rezession-831220