Von Gerhard Schüsselbauer
Herablassende Kommentare in deutschen oder französischen Medien über die ostmitteleuropäischen „Sorgenkinder“ in der EU sind an der Tagesordnung. Ich habe an vielen Stellen auf die gewaltigen rechtsstaatlichen Defizite und die populistischen, ausgeprägt rechtskonservativen Politiken in unseren östlichen Nachbarstaaten hingewiesen. Gleichwohl verkennt man die Entwicklungen in diesen Ländern vollends, wobei es von wenig Empathie zeugt, die Lage nur aus der Perspektive ungewollt arrogant wirkender mittel- und westeuropäischer Journalisten und Feuilletonisten zu betrachten.
Das fremde Bild vom „Mythos des heilbringenden Westens“ hinterließ eine Identitätslücke und Illusion, die schon vor vielen Jahren erbarmungslos entzaubert wurde. Und genau diese Entwicklung treibt Scharen von Bürger*innen in die Hände von Kaczyński, Babiš oder Orbán, die den Menschen national-patriotische Gefühle im Gegensatz zum liberalen Lebensstil des „Westens“ überstülpen. Der Aufbau „illiberaler“ Demokratien nach Orbáns und Kaczyńskis Vorbild und die Machterosion zugunsten der Regierungen gegenüber Parlament und Justiz sind daher in vollem Gang und weit vorangeschritten. Klischees eines angeblich verfaulenden, irrsinnigen Multikulturalismus des „Westens“ werden gnadenlos bedient. Entweder sind die Bürger*innen für die Losungen der populistischen Parteien zu gewinnen, oder aber sie wenden sich von der Politik ab. Eine zivilgesellschaftliche Stärke ist nur wenig ausgeprägt. Liberale und sozialdemokratische Parteien fristen ein Schattendasein.
Wie kommen die zeitweise relativ stark abgeschotteten ostmitteleuropäischen EU-Staaten durch die Coronakrise? Schon zu Beginn des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie in Europa im März 2020 ergriffen Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn drastische Maßnahmen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Vor allem Tschechien und Polen haben seitdem nur moderate Todeszahlen zu beklagen. In der Tschechischen Republik wurden Schulen und Universitäten wesentlich früher geschlossen als bspw. in Deutschland, wo eine längere bundesländerübergreifende Diskussion stattfand. Auch die Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Leben erfolgte viel früher als in Deutschland. Relativ schnell reagierte die tschechische Krone mit einer Abwertung, die nun Anfang Juni 2020 auf den Devisenmärkten teilweise wieder korrigiert wurde. Ähnlich sieht die Entwicklung für Złoty und Forint aus. Nach Beendigung des Shutdowns erholen sich die Wirtschaften Tschechiens und der Slowakei vorerst zögerlich. Gleichwohl machen sich die negativen realwirtschaftlichen Entwicklungen deutlich bemerkbar, da die ostmitteleuropäischen Wirtschaften stark von den Entwicklungen in anderen EU-Ländern abhängen.
Nach Jahren des starken realen Wirtschaftswachstums des BIP sieht sich auch Ungarn mit einer Coronarezession konfrontiert. Das wesentlich stärker als Polen vom Tourismus abhängige Land wird in diesem Jahr mit einer Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von 4 bis 5 Prozent rechnen müssen. Verglichen mit westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Spanien oder Belgien wird der Rückgang der realen Wertschöpfung im Jahr 2020 allerdings nicht so dramatisch ausfallen. Die Industrieproduktion und insbesondere der Fahrzeugbau (-31 Prozent im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum ersten Quartal 2019) spüren die Rezession sehr deutlich.
Polen hat in den letzten Jahren ähnlich wie Tschechien oder die Slowakei längst den Sprung in Richtung technologieintensive Volkswirtschaft vollzogen und scheint erstaunlich gut gerüstet für die Coronakrise. Auch wenn wichtige Wertschöpfungsketten mitunter unterbrochen waren, ist die Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten weniger dramatisch gestiegen als in anderen europäischen Ländern. Das flexible Wechselkursregime trägt in Polen wie in der Tschechischen Republik und in Ungarn dazu bei, über eine Abwertung der Landeswährung den Export von Gütern und Dienstleistungen langfristig zu unterstützen, zumal die Produkte aus den ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften sehr wettbewerbsfähig sind. Der Begriff „polnische Wirtschaft“ gehört längst der Vergangenheit an und wird nur von „Ewiggestrigen“ benutzt. Polen ist mittlerweile für Deutschland ein wichtigerer Handelspartner bei Ein- und Ausfuhren als Großbritannien. Auch die Integration von Polen, Tschechien, Ungarn sowie der Slowakei in den europäischen Kernraum der Volkswirtschaften ist weit fortgeschritten. Darüber hinaus haben im Zuge der Covid-19-Pandemie viele ukrainische „Gastarbeiter“ fluchtartig diese Länder verlassen und so die Arbeitsmärkte entlastet. Vor allem in Polen lebten schätzungsweise knapp 1,5 Mio. Personen aus der Ukraine. Mittelfristig stellt sich in den ostmitteleuropäischen Ländern jedoch erneut die Frage nach der Überwindung des Arbeitskräftemangels, besonders in der Zeit nach der Covid-19-Pandemie.
Auch wenn die rechtskonservativen und rechtspopulistischen Regierungen in den Ländern Ostmitteleuropas den „Wirtschaftskolonialismus“ durch den Zustrom an ausländischen Direktinvestitionen in ihrer Rhetorik immer wieder geißeln, wissen sie um die Bedeutung des Technologietransfers und den Import von Know-how, der maßgeblich ist für die wirtschaftliche Gesundung nach der Coronakrise. Microsoft und andere IT-Unternehmen, aber auch Mercedes-Benz sowie andere internationale Unternehmen haben längst die ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften als besonders attraktive Standorte identifiziert und tätigen milliardenschwere Investitionen. Besonders in Polen boomt der IT-Sektor (bspw. der sehr erfolgreiche Entwickler von Computerspielen „CD Projekt“). Die Slowakei ist mittlerweile führend bei der Fahrzeugproduktion pro Einwohner*in weltweit.
Im Vergleich zu vielen west- und südeuropäischen EU-Ländern weisen die ostmitteleuropäischen Staaten gesunde Staatshaushalte auf und sind daher besser gerüstet für Konjunktur- und Hilfsprogramme und die damit einhergehende Verschuldung. Ausgesprochen profitabel könnten sich die abzeichnende Deglobalisierung in weiten Bereichen der wirtschaftlichen Tätigkeit (vor allem im Gesundheitswesen und in der Medizin) und die damit verbundene Rückkehr zu eher regionalen und lokalen Wertschöpfungsketten für Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn auswirken. Die massiven Rettungsprogramme durch die EU werden auch für die ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedsländer von Gewinn sein, da über Multiplikatorwirkungen Investitionen angeschoben werden. Es ist durchaus denkbar, dass die ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften ihren seit langem in Gang gekommenen ökonomischen Aufholprozess auch nach der Covid-19-Pandemie fortsetzen und verstärken können.
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, dass etwas einen Sinn hat, egal wie es ausgeht.
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Hoffnung ist nicht dasselbe wie die Freude darüber, dass sich die Dinge gut entwickeln. Sie ist auch nicht die Bereitschaft, in Unternehmen zu investieren, deren Erfolg in naher Zukunft absehbar ist.
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Hoffnung ist vielmehr die Fähigkeit, für das Gelingen einer Sache zu arbeiten.
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Hoffnung ist auch nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, daß etwas klappen wird, sondern die Gewissheit, daß etwas seinen guten Sinn hat – egal, wie es am Ende ausgehen wird.
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Diese Hoffnung alleine ist es, die uns die Kraft gibt zu leben und immer wieder neues zu wagen, selbst unter Bedingungen, die uns vollkommen hoffnungslos erscheinen. Das Leben ist viel zu kostbar, als dass wir es entwerten dürften, indem wir es leer und hohl, ohne Sinn, ohne Liebe und letztlich ohne Hoffnung verstreichen lassen.
Vaclav Havel
tschechischer Staatsmann und Politiker
(1936 – 2011)