Corona-Krise und kein(e) (W)Ende? Perspektiven der europäischen Jugendbildung

Von Gerhard Schüsselbauer

Die Arbeit der internationalen Jugendbildung befindet sich nach wie vor fest im Griff der Corona-Krise. Auch wenn nun erste umfassende Lockerungen vorgenommen wurden und die Reisefreizügigkeit im Schengen-Raum weitestgehend wieder hergestellt wurde, leiden die jugendpolitischen Aktivitäten massiv unter dem Lockdown und der mittel- bzw. langfristigen Absage vieler Begegnungs- und Bildungsmaßnahmen mit europäischer und internationaler Beteiligung. Was über viele Jahre mit großem Einsatz vieler Beteiligter aufgebaut wurde, sieht sich nun unüberwindlichen Hindernissen gegenüber.

Europäische Jugendbildung umfasst dabei eine Vielzahl von bedeutsamen inhaltlichen und methodischen Aspekten, die sich im Rahmen demokratischer Bildung zum Ziel setzen, europäische Grundwerte sowohl in der gegenwärtigen tiefen Krise als auch gegen Anfeindungen von rechts zu verteidigen. Vor allem non-formale Formate der außerschulischen Jugendbildung und Kreativität unter Einbezug digitaler Medien spielen bei der Gestaltung eine maßgebliche Rolle.

In der aktuellen Diskussion um die „Einheit und Zukunft Europas!?“ liegt es zwingend nahe, die politische Jugendbildung als eine umfassende gesamteuropäische Herausforderung aufzufassen. Neben konzeptionellen Vorüberlegungen muss die politische Jugendbildung in und für „Gesamteuropa“ eine Reihe von bedeutenden Fragen und Aspekten aufgreifen, damit eine notwendigerweise stärkere „Europäisierung“ der außerschulischen Bildungsarbeit ermöglicht werden kann. Eine gesamteuropäisch orientierte politische Jugendbildung in Zeiten der Covid-19-Pandemie erfordert einerseits eine Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Themen der Globalisierung, Internationalisierung sowie Renationalisierung, andererseits wird eine stärkere und konsequentere Europäisierung der politischen Jugendarbeit durch die rasant fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung notwendig. Dabei müssen die Aktivitäten den wechselnden welt-, europa- und deutschlandpolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen, ohne jedoch überhastet vordergründigen Trends zu folgen. Politische Jugendbildung darf nicht mit fertigen, statischen Rezepten arbeiten, sondern muss sich permanent an dynamisch ändernde Realitäten anpassen können. Gerade die Covid-19-Pandemie, aber auch die höchst kontrovers diskutierte Flüchtlings- und Asylthematik zeigen die zwingende Notwendigkeit, sich flexibel an ein rasch verändertes Themen- und Organisationsumfeld anzupassen.

Darüber hinaus wird die Agenda der politischen Bildung dominiert durch die Diskussionen um die enormen Schwierigkeiten unserer faktisch existierenden multikulturellen Gesellschaften in Europa sowie rassistische, rechtsnationalistische, extremistische und fremdenfeindliche Tendenzen in vielen europäischen Ländern vom Vereinigten Königreich über die Niederlande und Frankreich bis Polen und Russland, von Schweden über Deutschland bis Italien. Mehr denn je stellt die Schaffung eines geeinten EU-ropa gerade für jüngere Generationen eine gewaltige Herausforderung dar. Es erfordert jedoch viel weitreichendere Maßnahmen, als bisher unternommen, um den politisch-föderativen, sozialen und wirtschaftlichen Einigungsprozess in EU-ropa voranzubringen.
Der Umgang mit der Covid-19-Pandemie in EU-ropa und die völlig überzogene nationale Rückbesinnung auf einzelstaatliche Alleingänge und Lösungsansätze offenbaren, dass für die Überwindung des Denkens in nationalen Grenzen ein grundsätzlicher proeuropäischer Ansatz, ein offener Dialog und partnerschaftlicher Austausch der jungen Generationen im ehemaligen „Ost“ und „West“ wichtige Voraussetzungen sind. Dazu gehört, dass sich West-, Mittel-, Süd- sowie Osteuropäer über die Bedeutung einer drohenden weiteren Spaltung in „reiche“ und „arme“ EU-Länder sowie über die gegenwärtigen Maßnahmen zur Bewältigung der massiven wirtschaftlichen Krisenphänomene und realwirtschaftlichen Rezession klar werden.

Die jüngsten aktuellen Entwicklungen der letzten Monate zeigen, dass es zu einer europäischen Dimension des Krisenmanagements überhaupt keine Alternative gibt. Umso wichtiger ist es, die Aktivitäten im europäischen und internationalen Jugendbildungsbereich nicht nur wiederaufnehmen zu können, sondern zu intensivieren. Die Notwendigkeit eines verstärkten Denkens in europäischen zivilgesellschaftlichen Kategorien kann nur gelingen, wenn junge Menschen dafür mit zielgruppengerechten Konzepten gewonnen werden.

Interreligiöses und interkulturelles Lernen in Rumänien während eines rumänisch-polnisch-deutschen Jugendaustauschprogramms (Foto: Jan Meiser)