Dr. Gerhard Schüsselbauer
„Globalisierung“ ist ein Modewort, das seit den 1990er Jahren einen phänomenalen Aufschwung erlebt hat. Mittlerweile ist es zu einem Catch-all-Begriff vor allem für alle problematischen oder gar schädlichen Entwicklungen weltweit geworden. Die Konnotation insbesondere in der deutschen Sprache ist sehr häufig negativ besetzt. Sieht man sich die Entwicklungen, die mit globalen Prozessen zu tun haben, genauer an, erkennt man sowohl eine exogene, von außen kommende Komponente, als auch endogene Prozesse. Letztere bedeuten, dass Globalisierung vor allem mit Menschen selbst und ihrem sozio-ökonomischen Verhalten zu tun haben. Selbstverständlich haben dann Menschen auch die gestalterische Kraft, die Globalisierung zu beeinflussen, denn globale Trends umfassen alle Austauschbeziehungen zwischen geografisch getrennten Akteuren – politisch, ökonomisch, sozial und kulturell.
Menschen streben nach Verbindung und nach Nachahmung, deshalb sind solche Plattformen wie Instagram oder TikTok so erfolgreich, und natürlich auch Dating-Apps. Ein weiterer Ausdruck der Globalisierung/Internationalisierung der Wirtschaft spiegelt sich im exorbitanten Wachstum des Welthandels wider, von dem auch weniger entwickelte Länder profitieren können, wenn die Handelspolitik seitens der großen Wirtschaftsräume Nordamerika, EU und Ostasien sowie die eigene Handelspolitik von Entwicklungsländern dies zulassen. Menschen, Regionen und Länder sind nicht per se Getriebene der Globalisierung, sondern sie sind die Globalisierung selbst. Geschichtlich betrachtet ist sie die Evolution der menschlichen Spezies und findet seit tausenden von Jahren statt.
Die Weltpandemie, ausgelöst durch Covid-19, müsste für die Weltgemeinschaft im Grunde genommen ein Ansporn sein, noch besser zu kooperieren und das ständig fortschreitende Wissen um die Pandemiezusammenhänge zu teilen und zu nutzen. Dieses Wissen muss viel stärker Allgemeingut werden und darf nicht nur Eliten und entwickelten Regionen vorbehalten bleiben. Der Wettbewerb um die besten (Impf-)Strategien und Lösungen ist dabei grundsätzlich dem Fortschritt sehr förderlich, man beobachtet jedoch einen verstärkten Rückzug in nationalstaatliche Verhaltensmuster, und selbst die EU mit ihrer heftig kritisierten, weil überbürokratischen Strategie zur Pandemiebekämpfung ist keineswegs frei davon. Das Megathema der Globalisierung müsste daher jetzt die Strategie „Covax“ sein. „Covax“ (Covid-19 Vaccines Global Access) bedeutet den weltweiten gerechten Zugang zu Impfstoffen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie. Es sollte mindestens im Rang eines der Hauptziele für nachhaltige Entwicklung stehen. Bis Ende März 2021 wurden im Rahmen des Programms „Covax“ über die Weltgesundheitsorganisation lediglich 32 Millionen Dosen Impfstoff in 70 Länder geliefert. Die zehn reichsten Länder hingegen teilen sich nach wie vor den allergrößten Teil der verfügbaren Impfseren untereinander auf.
Es ist eine sehr verbreitete Illusion, zu glauben, man müsste nur genügend Erwachsene in den entwickelten Ländern impfen, um die Pandemie nachhaltig unter Kontrolle halten zu können. Globalisierung bedeutet vor allem weltweite Mobilität, Tourismus und Migration. Die Weltgesundheit ist daher wie ein öffentliches Gut zu betrachten, niemand darf ausgeschlossen werden und es darf keine Rivalität um dieses Gut herrschen! Die Weltgemeinschaft braucht viel mehr Solidarität und Transparenz bei diesen Prozessen, denn Transparenz ist auch Macht, die Bewegungen initiiert, wobei sich Menschen für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzen. Solidarität ist kein Gegensatz zur globalen Marktwirtschaft, sondern ein Wesenskern des Sozialen in der Sozialen Marktwirtschaft.
Die gewaltigen Herausforderungen, die die Globalisierung heute mit sich bringt, sind fassbarer als der Begriff selbst: massive Klimaveränderungen und Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Arbeitskräfte in Entwicklungsländern, Schulden- und Finanzkrisen sowie erhöhte Ungleichheit, was den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie anbetrifft. Internationale UNO-Institutionen wie IWF und Weltbank, aber auch die EU als supranationaler Staatenverbund müssen nun rasch handeln, denn letztlich ist jeder schnelle Erfolg auch von einem hohen Impftempo in den Entwicklungsländern abhängig. Der überragende Grundsatz heute lautet: Globale Impfpolitik ist die beste Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik weltweit, da die positiven externen Effekte allen Menschen zugutekommen. Die Weltgesundheit ist ein unteilbares und nutzenstiftendes Kollektivgut, das gerade in der Hochphase der Pandemie zwingend gestärkt werden muss!