Die EU wird ihrer Führungsrolle in der Klimakrise nicht gerecht!

Dr. Gerhard Schüsselbauer

Wie kann die EU trotz der erneut geäußerten Kritik ihre Vorreiter- und Führungsrolle in der Frage des Klimawandels und der Umsetzung einer nachhaltigen Klimapolitik wahrnehmen?

Wieder einmal fand im Mai 2021 ein EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt, bei dem das wichtigste und größte Manko der Konstruktion der EU offenkundig wurde, denn nur im aktuellen Krisenmanagement funktionieren die Mechanismen der Entscheidungsfindung gut.

Geht es aber um sehr langfristige Perspektiven und die Extrapolation von heutigen Trends in die Zukunft nach dem Ablauf von Wahlperioden, dann werden wichtige Entscheidungen verschoben und man wartet erst auf die erneute Erarbeitung konkreter Maßnahmen zur Erreichung der verschärften Klimaziele, die bis spätestens 2030 umgesetzt werden müssen. Bis 2050 muss die EU nach der Selbstverpflichtung sogar klimaneutral sein, also mindestens so viel CO2 kompensieren wie ausgestoßen wird. Die Zieldefinition stellt in der Klimapolitik nicht das Hauptproblem dar. Weiterhin unlösbar scheinen hingegen die Zielkonflikte, will man alle Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigen.

Höchst problematisch gestaltet sich erneut die unterschiedliche Interessenlage der einzelnen EU-Länder, die ihrerseits in der Klima- und Energiepolitik mit sehr heterogenen Voraussetzungen aufwarten. Stark vom Primärenergieträger Kohle abhängige Länder wie Polen haben eine völlig andere Ausgangslage als das bei der Stromerzeugung von der Kernenergie dominierte Frankreich. Deutschlands Energiemix und der mittlerweile gestiegene Anteil an erneuerbaren Energieträgern führen jedoch immer noch nicht automatisch dazu, dass die ambitionierten Klimaziele und Einsparungen an Emissionen auch tatsächlich erreicht werden. EU-weit müssen die Treibhausgase um 55 Prozent gesenkt werden im Vergleich zur Referenzbasis des Jahres 1990. Dieses ambitionierte Ziel wird auch in der Zeit nach der Covid-19-Pandemie nur schwer zu erreichen sein, wenn nicht vor allem in der europäischen Industrie- und Verkehrspolitik grundlegende Rahmenbedingungen und Preissysteme geändert werden. Besonders die relativen Preise der einzelnen Energieträger sind ausschlaggebend für einen nachhaltigen Energiemix aus Übergangslösungen (sog. Brückentechnologien) und langfristigen Lösungen für die Klimaneutralität. Damit verbunden ist auch die Diskussion um die Lastenteilung im Rahmen eines umfassenden Paketes des geänderten EU-Rechts. Marktwirtschaftlich sinnvoll erscheint eine Ausweitung des Emissionshandelssystems, bei dem Industriebetriebe Verschmutzungsrechte erwerben müssen, wenn sie CO2 an die Atmosphäre abgeben. Die Ausdehnung dieses Systems auch auf Verkehr und das Heizen in Privathaushalten führt unweigerlich zu komplexen sozialen Fragen der Belastbarkeit von Konsument*innen. Allein schon geographische Standortvorteile oder -nachteile spielen hier eine Rolle, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Entwicklungsniveaus im ökonomischen Wohlstand innerhalb der sehr heterogenen EU-Länder. Das unbefriedigende Ergebnis der Zusammenarbeit der EU-Regierungen auf höchster Ebene verdeutlicht erneut, wie das langfristig bedeutsamste supranationale Ziel in der EU von nationalstaatlichen Interessen konterkariert und gleichsam ad absurdum geführt wird. Bislang sind die Staats- und Regierungschefs ihrer historischen Verantwortung keineswegs gerecht geworden, denn erneut erweisen sich die Einigungs- und Transaktionskosten der EU (27) als sehr hoch und als Hemmschuh für einen nachhaltigen Durchbruch in Richtung einer zukunftsfähigen Klima- und Energiepolitik.