Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Allen voran die nationalkonservative graue Eminenz Jaroslaw Kaczynski, aber auch der nationalistische polnische Justizminister Zbigniew Ziobro, waren und sind immer wieder bestrebt, nicht nur antieuropäische, sondern auch antideutsche Akzente zu setzen, man denke nur an den Rechtsstreit mit der EU und an die abenteuerliche Mahnung Kaczynskis von einem die EU dominierenden deutschen 4. Reich.
Während des nun seit fast sieben Wochen anhaltenden Ukrainekriegs war es auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der von Beginn an und durchaus zu Recht von der zaudernden deutschen Regierung verlangte, sich entschiedener für die Ukraine einzusetzen, zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland noch diskutiert wurde, ob man der Ukraine zusätzlich zu 5.000 Helmen auch Defensivwaffen liefern solle.
Die vor allem ostmitteleuropäischen Mahner aus Polen und den baltischen Staaten haben Recht behalten, die deutsche Russlandpolitik ging von falschen Voraussetzungen aus, wurde trotz entsprechender Mahnungen aber hartnäckig fortgesetzt und brachte dadurch die Ukraine in eine fatale Lage.
Darauf haben in den letzten Wochen sowohl der ukrainische Staatspräsident, Wolodymir Selenskyj, und in Berlin der ukrainische Botschafter, Andrij Melnik, in dramatischer Form hingewiesen, wobei sie eine entschiedene Änderung des deutschen Kurses forderten. Besonders die wenig diplomatischen Angriffe Melnyks gegen Steinmeier hallen immer noch nach. Melnyk hat sich damit nicht nur bei etlichen SPD-Politikern ausgesprochen unbeliebt gemacht.
Inzwischen will die BRD unter dem Druck der Verbündeten und des sich dramatisch zuspitzenden Kriegsgeschehens, die Experten weisen vor Ort immer zahlreichere russische Kriegsverbrechen nach, selbst die Einstufung der russischen Kriegsführung als Genozid wird immer naheliegender, ihre Waffenlieferungen an die Ukraine angeblich ausweiten, tut sich aber immer noch mit den notwendigen schnellen Entscheidungen und Umsetzungen schwer.
Inzwischen hat es die Entschuldigung der Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeiers im Hinblick auf seine mit Russland betriebene Energiepolitik gegeben. Hinsichtlich seiner gemeinsam mit der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmten Außenpolitik gegenüber Putin, die spätestens seit 2014 falsch war und immer noch auf einer „Partnerschaft“ mit der Russischen Föderation beharrte (Wandel durch Annäherung, Modernisierungspartnerschaft) hielt sich der ehemalige Außenminister und heutige Bundespräsident aber mit Selbstkritik zurück. Ebenso Angela Merkel, die sich dazu gar nicht äußerte.
Allerdings ließ das kürzlich durchgeführte Telefonat zwischen Olaf Scholz und Wolodymir Selenskyj (11.04.22), nach dem sich der ukrainische Präsident beim deutschen Bundeskanzler für eine wie auch immer geartete deutsche „Kurskorrektur“ gegenüber der Ukraine bedankte, den Eindruck entstehen, dass sich beide Seiten im Hinblick auf substanzielle Probleme geeinigt hätten. Einen Besuch in Kiew, zu dem er zumindest von der FDP aufgefordert wurde, hatte Scholz wohl nicht vorgesehen.
Und dann der diplomatische Eklat in Warschau vom 12. 04.22, dass Steinmeiers Besuch in Kiew nicht erwünscht sei. Ohne Erläuterung der Hintergründe, ohne hinreichende Begründung seitens der ukrainischen Regierung. Und dazu die lakonische Erklärung eines sichtlich betroffen wirkenden Bundespräsidenten: „Ich war dazu bereit. Aber offenbar, und ich muss das zur Kenntnis nehmen, war das in Kiew nicht gewünscht.“ Vielleicht hatte man sich in Kiew eher den Besuch des Kanzlers mit bindenden Zusagen zu weiterer deutscher Militärhilfe, im Klartext zur Lieferung schwerer Waffen erhofft? Eine solche Zusage hat es von Scholz bisher nicht gegeben, denn im Unterschied zu etlichen anderen Staaten fürchtet sich der Bundeskanzler offenbar davor, eine „rote Linie“ gegenüber Russland zu übertreten. So viel Rücksichtnahme gegenüber Russland kommt in der Ukraine begreiflicherweise nicht gut an.
Seit mehreren Wochen versucht der polnische Staatspräsident, Andrzej Duda, den ausgesprochen antieuropäischen und antideutschen Kurs der polnischen PIS-Regierung zumindest zu nuancieren. Dies hat innenpolitische Gründe, denn im Rechtsstaatlichkeitskonflikt mit der EU muss Polen seit Monaten entsprechende Strafzahlungen leisten und ebenso wurden erhebliche Mittel aus dem europäischen Corona-Aufbaufonds von der EU bisher nicht bewilligt. Durch diese fatale Europa- und Außenpolitik hat sich das Land in der EU weitgehend isoliert. Die Regierung folgt seit Jahren dem autoritären Pfad Ungarns und hat für die EU verbindlichen Rechtsstaatlichkeitsnormen verletzt. Auch hat man vergeblich versucht, die polnischen Medien noch stärker unter die Kontrolle der PIS-Regierung zu bringen und damit einen Konflikt mit den USA heraufbeschworen.
Angesichts des russischen Vernichtungskriegs in der Ukraine hat es die EU aber in bemerkenswerter Weise geschafft, zu schnellen Entscheidungen zu kommen und Einigkeit zu stiften, man denke nur an die beträchtlichen finanziellen Hilfsmittel sowie die bewilligte Militärhilfe für die existenziell bedrohte Ukraine. Der kürzliche Besuch von Ursula von der Leyen in Kiew war deshalb sehr wichtig und hatte sicher nicht nur Symbolwert. Ebenso wichtig waren die zuvor etwas riskanteren Besuche der Ministerpräsidenten aus Polen, Tschechien und Slowenien in der belagerten Hauptstadt der Ukraine, auch wenn der Vorschlag Kaczynskis, einer NATO-gestützten Friedensmission in der Ukraine zuvor nicht abgestimmt worden war und aus guten Gründen abgelehnt wurde.
Und in diesem Kontext ist auch wohl die jüngste Initiative des polnischen Staatspräsidenten, Andrzej Duda, zu sehen, gemeinsam mit dem deutschen Staatsoberhaupt und den Staatspräsidenten aus Estland, Lettland und Litauen nach Kiew zu reisen. (Gerhard Gnauck: Viele sind nicht gut auf Deutschland zu sprechen. Präsident Steinmeier will bei seinem Besuch in Polen Bedenken über Berlins Russlandpolitik zerstreuen. In: FAZ, 13.04.22, S.2)
Es war gut, dass Frank-Walter Steinmeier nach Warschau gereist ist, und es war gut, dass die beiden Staatsoberhäupter Deutschlands und Polens Einigkeit demonstriert haben. Das seit Jahren lahmende Weimarer Dreieck, das aktuell noch mehr aus dem Takt ist, weil Macron um sein politisches Überleben kämpft, und es gerade kürzlich einen heftigen Disput zwischen dem Le Pen-Versteher Morawiecki und dem französischen Staatspräsidenten gegeben hat, muss ähnlich wie das angeschlagene deutsch-polnische Verhältnis angesichts der russischen Bedrohung dringend erneuert werden. Dazu wird es aber ohne einen Regierungswechsel in Polen und ohne einen Sieg Macrons über die Rechts- und Linksextremen in Frankreich wohl nicht kommen können. Es steht also sehr viel auf dem Spiel für die Einigkeit und Sicherheit Europas, zumal der linkradikale Jean-Luc Mélenchon und die rechtsextreme Marine Le Pen nicht nur EU-fern sind, einen NATO-Austritt befürworten und im Wahlkampf die antiwestliche, vor allem gegen die USA gerichtete Argumentation Putins übernommen haben. (Jürg Altwegg: Wie aus Impfskeptikern Putin-Sympathisanten wurde. In: FAZ, 13.04.22, S.13)
Neu justiert werden muss auch die deutsche Außenpolitik, mit einer nunmehr viel stärkeren Hinwendung zu den ostmittel- und südosteuropäischen Partnerländern und einer stärkeren Berücksichtigung ihrer Sicherheitsinteressen. Wie gesagt, der Besuch eines „geläuterten“ Steinmeiers in Warschau war diesbezüglich ein begrüßenswerter Schritt.
Der weiterreichende – auf Andrzej Duda zurückgehende – Vorschlag, gemeinsam mit Steinmeier, Alar Karis (Estland), Egils Levits (Lettland) und Gitanas Naušeda (Litauen) nach Kiew zu reisen, kommt nun nicht zustande. Und das ist sehr bedauernswert, denn der demonstrative Schulterschluss zwischen den Staatschefs Deutschlands, Polens und der baltischen Staaten mit Staatspräsident Selenskyj in der Hauptstadt der tödlich bedrohten Ukraine wäre ein gutes Zeichen europäischer Einigkeit und uneingeschränkter Solidarität mit dem ukrainischen Volk und Staat gewesen. Leider wurde das von der ukrainischen Regierung aus Enttäuschung über Steinmeier und die ausbleibenden oder stark hinausgezögerten deutschen Waffenlieferungen nicht erkannt, und so kam es zu einem unerwünschten diplomatischen Eklat, der den Gegnern der europäischen Einheit in die Hände spielt und die ukrainische Führung Sympathien kostet.