Dr. Zbigniew Wilkiewicz
„Deutschland hat Warnungen zweier US-Regierungen zu Russland und die Zweifel der EU ignoriert. Handelsbeziehungen lassen sich nicht plötzlich beenden, aber es ist keine gute Nachricht für Europa, dass Deutschland Entscheidungen ohne seine europäischen Partner trifft.“ (El Pais, 31.10.22)
Dieser Einschätzung der führenden spanischen Tageszeitung „El Pais“ muss man in Gänze zustimmen, umso mehr, wenn man in den letzten Wochen wahrgenommen hat, wie stark belastet das deutsch-französische Verhältnis ist und wie wenig sich Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron zu sagen hatten. Ungeachtet des Streits über einen gemeinsamen europäischen Gasdeckel, den die Bundesrepublik Deutschland, die gerne immer wieder Solidarität in der EU anmahnt, recht unsolidarisch ausgebremst hat, ist es aber vor allem der gegen sechs bundesdeutsche Ministerien und eine Mehrheit der europäischen Partner durchgesetzte Alleingang in Sachen China, der zu denken gibt. Während sich der Bundeskanzler bei den Waffenlieferungen an die Ukraine immer darauf berief, nur in Abstimmung mit den NATO- und EU-Partnern handeln zu wollen und es lange ablehnte, schwere Waffen zu liefern oder gar eine Führungsrolle in Europa einzunehmen, ist das beim China-Geschäft offensichtlich anders. Hier setzt sich Scholz mit Machtworten durch und verärgert nicht nur die USA, sondern auch die engsten westlichen Partner in der EU.
Wir haben es also mit vermeintlichen deutschen Wirtschaftsinteressen in China zu tun, die aber im In- und Ausland mehr als umstritten sind! Man könnte fast meinen, dass aus der russischen Lektion, deren Folgen noch nicht abzuschätzen sind und die für Gesamteuropa, besonders aber für Deutschland noch lange nicht beendet ist, trotz anderslautender Bekundungen des Kanzlers, nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Dabei ist die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt immens und kann in einer Zeit, in der das traditionelle Modell des Freihandels zunehmend durch politische Komponenten beeinflusst wird (Stichwort Geo-Ökonomie), zu einer ähnlichen Sackgasse führen wie im Falle der selbstverschuldeten Energieabhängigkeit von Russland. Die Außenhandelspolitik Chinas ist in den letzten Jahren und aktuell – nach dem letzten Parteitag, bei dem Xi zum uneingeschränkten Herrscher gekürt wurde – zusehends von geopolitischen Motiven geprägt. Es wurde hervorgehoben, dass sich Xi in seiner jüngst gehaltenen programmatischen Ansprache sehr viel intensiver mit Marx als mit dem Markt auseinandersetzte. Mit anderen Worten, das Primat der Politik vor der Wirtschaft steht für die chinesische Führung außer Frage. Ebenso ihr Anspruch, die USA abzulösen und zur Weltmacht Nummer Eins aufzusteigen. Für Deutschland und die EU heißt das im Umkehrschluss, dass internationales Wirtschaften nur so lange gut ist, wie es nicht den eigenen Sicherheitsinteressen schadet. (Gerald Braunberger: Wirtschaften mit China. In: FAZ, 27.10.22, S.15). Diese Lektion müsste man angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Dauererpressung durch das imperialistische Russland auch in Deutschland gelernt haben. Sicherheit wird es aber zukünftig nicht umsonst (von den USA) und schon gar nicht im Alleingang geben, sondern nur in Abstimmung mit allen europäischen Partnern. Dabei wird es für die Bundesrepublik weiterhin darauf ankommen, verlorengegangenes Vertrauen in der Ukraine und in Mittelosteuropa (Polen) zurückzugewinnen und das deutsch-französische Verhältnis zu verbessern. Und hier gibt es noch viele Baustellen.
Auch wenn die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Serhij Zhadan und die überfällige Kiew-Reise des Bundespräsidenten einen wichtigen symbolischen Wert hatten, und Bundeskanzler Scholz einen viel beachteten Marshall-Plan zum Wiederaufbau der Ukraine ins Gespräch gebracht hat, könnte Deutschland mit den Worten des neuen ukrainischen Botschafters in Berlin, Oleksii Makeiev, „so viel mehr, so viel schneller“ für die Ukraine tun.
Norbert Röttgen ist zuzustimmen, wenn er postuliert, dass es die Aufgabe Deutschlands wäre, Ost und West, Polen und Frankreich zusammenzubringen und ein europäisches Moment der Selbstverteidigung zu erzeugen. Und auch Wolfgang Schäuble liegt zweifelsohne richtig, wenn er trotz aller Schwierigkeiten zwischen Deutschland, Polen und Frankreich eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks anmahnt (Wolfgang Schäuble: Noch ist Europa nicht verloren. Polen hat keinen Anspruch auf Reparationen, gehört aber zum Kern europäischer Führung. In: FAZ, 20.10.22, S.6)
Die Situation ist aber – wie Röttgen zutreffend bilanziert – eine andere: „Die Mittel- und Osteuropäer sowie die Balten sind zutiefst enttäuscht über das immer zu späte und zu langsame deutsche Handeln. Auch das Verhältnis zu Frankreich ist im Störmodus, der so weitgehend ist, dass die Regierungskonsultationen nicht stattgefunden haben. In der Lage des Krieges, wo unser gemeinsames Europa angegriffen wird, ist das dramatisch.“ (Martin Ellerich: Röttgen drängt Baerbock zum Handeln. In: Westfalen-Blatt, 31.10.22, S.5).
Deshalb bleibt zu hoffen, dass Annalena Baerbock bei der anstehenden G7-Außenministerkonferenz in Münster ein entschiedeneres Handeln im Hinblick auf die weitere militärische Unterstützung der Ukraine befürworten und eine adäquate Strategie, die die Wirtschaftsabhängigkeit von China verringern kann, umreißen wird. Damit könnte die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik gestärkt und den europäischen Partnern die Angst vor deutschen Alleingängen genommen werden.