Zeit für Frieden?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Angesichts der zuletzt geführten Debatten könnte man meinen, dass es bei den Regierungen der führenden Staaten des Westens eine Konjunktur für die Anbahnung von Friedensgesprächen mit Russland gibt. Zudem hat die Berichterstattung zum Ukrainekrieg fast in ganz Europa abgenommen, was wohl sicher damit zusammenhängt, dass das Kriegsgeschehen sich nicht ganz so spektakulär entwickelt wie noch vor ein paar Wochen und sich eine gewisse „Gewöhnung“ eingestellt hat. Auch gibt es wieder Telefondiplomatie zwischen Scholz und Putin, Vorschläge von Macron zur europäischen Friedensordnung unter Einschluss Russlands und etwas uneindeutige Aussagen von Joe Biden im Hinblick auf seine Gesprächsbereitschaft mit Putin.

Was den Telefondialog zwischen Scholz und Putin angeht, so kann man den Sinn solcher Gespräche bezweifeln, da es bei dem Kremlherrn ganz offensichtlich keinerlei Bereitschaft gibt, Konzessionen zu machen. Vielmehr hält er unbeirrt an seinen Kriegszielen fest und wird durch ein solches Telefonat zusätzlich (diplomatisch) aufgewertet, indem er seine absurden Gegenargumente von der Opferrolle Russlands öffentlich ins Feld führen kann. Auch weiß man nicht, ob tatsächlich alle Inhalte dieses Gesprächs offengelegt wurden, was vor allem in der Ukraine für Verstimmung und Misstrauen sorgen kann, weil ganz ohne ukrainische Beteiligung über die Beendigung des Kriegs in der Ukraine gesprochen wird.

Allerdings ging der französische Präsident mit seinem öffentlich in Washington verkündeten Vorschlag, dass Europa auch die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen müsse, noch einen Schritt weiter als Scholz. Und auch Bidens sorgsam gewählt Worte, er sei bereit mit Putin zu reden, „wenn er tatsächlich daran interessiert ist, nach einem Weg zu suchen, den Krieg zu beenden“, wurden als Signale an den Kreml gedeutet, Verhandlungen über die Ukraine aufzunehmen. Da Biden ähnlich wie Macron bei dieser Stellungnahme die Ukraine erst gar nicht erwähnt hatte, wurde seine Aussage von John Kirby, dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, ergänzt: Biden habe derzeit keine Absicht mit Putin zu sprechen, da letzterer diesen illegalen und grundlosen Krieg fortsetzen wolle.

Dies bestätigte wiederum der russische Regierungssprecher, Dmitrij Peskow, der einerseits kompromisslos blieb, indem er auf die Durchsetzung russischer Interessen abhob, andererseits aber – würden die russischen Vorbedingungen erfüllt – Verhandlungsbereitschaft signalisierte. Ganz offenbar verbirgt sich hinter einer solchen Argumentation das Kalkül, dass die westlichen Verbündeten die Ukraine aus Eigeninteresse fallen lassen und sich auf Verhandlungen mit Russland einlassen könnten. (Majid Sattar, Friedrich Schmidt, Michaela Wiegel: Kompromisslos verhandlungsbereit. In: FAZ, 05.12.22, S.2).

Das von Macron artikulierte Verständnis für die Sicherheitsinteressen Moskaus führte in der Bundesrepublik Deutschland indes zu berechtigten Irritationen. So gab Ulrich Lechte (Außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion) zu Bedenken, dass die Ukraine und nicht Russland Sicherheitsgarantien benötige, während Nils Schmid (Außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion) vor „falschen Annahmen“ warnte und betonte, dass die Aussagen Macrons nicht mit der Bundesregierung abgestimmt worden seien. Schließlich kommentierte der Vizefraktionschef der CDU, Johann Wadephul, dass Macron die Dinge auf den Kopf stelle und wenig hilfreiche Avancen gegenüber dem Aggressor Russland mache. (Michaela Wiegel: Amerikas erster Freund. In: FAZ, 08.12.22, S.8)

Unterdessen zerstört Russland die kritische Infrastruktur in der Ukraine und versucht, das Land so in die Knie zu zwingen. Zwar hat sich die ukrainische Luftabwehr in den letzten Wochen immer besser auf die Drohnen- und Raketenangriffe Russlands eingestellt, die materiellen Schäden und das Leiden der Zivilbevölkerung sind trotzdem unermesslich.

Allerdings scheint die Bereitschaft der Ukrainer, ihr Land trotz hoher Verluste entschieden weiter zu verteidigen, ungebrochen zu sein. Dies manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass die russischen Einheiten seit Wochen erfolgreich daran gehindert werden, die überaus hart umkämpfte Stadt Bachmut einzunehmen und damit das Tor zum Donbass aufzustoßen.

Vor allem aber auch darin, dass es der Ukraine gerade jüngst gelungen ist, dem russischen Militär durch die erfolgreichen Drohnenangriffe auf die Militärstützpunkte in Engels und Djagilewo zu verdeutlichen, dass man das Potential hat, den Spieß umzudrehen und sich nach vorwärts zu verteidigen. Dies ist neben dem enormen Imageschaden für Putin und seine Armeeführung schon deshalb als großer Erfolg zu werten, weil es die russische Führung dazu zwingt, über ihre offenkundig löchrige Luftabwehr nachzudenken und entsprechend zeitraubende und teure Maßnahmen zum Schutz ihrer strategisch wichtigen Militärstützpunkte zu ergreifen.

Die erfolgreichen Drohnenangriffe der Ukraine schwächen die Position Moskaus erheblich und führen zu einer noch größeren Verunsicherung der inzwischen sowieso kopflos wirkenden Kreml-Führung. Zumal Putin verstanden zu haben scheint, dass er angesichts der eindeutigen Stellungnahmen Bidens und Xis im Hinblick auf die Androhung von Atomwaffeneinsätzen nicht mehr damit spielen sollte. Die Wirkung seiner zeitweise so erfolgreich betriebenen, Angst einflößenden atomaren Erpressungsversuche und Drohgebärden ist wohl endgültig verpufft.

Für Russland wäre es jetzt wohl an der Zeit, über realistischere Ausstiegsszenarien aus diesem so sinnlosen wie verbrecherischen Krieg nachzudenken. Dafür müsste es aber seinen imperialen Machtanspruch aufgeben. Und da man hiermit auch mittelfristig nicht rechnen darf, ist die Zeit für Frieden noch lange nicht reif, haben wir und hat vor allem die Ukraine einen schlimmen Kriegswinter vor sich. Die Ukraine hat sowieso keine Wahl, denn sie muss diesen Krieg gewinnen, um zu überleben. Der Westen sollte sie dabei – gerade jetzt – noch entschiedener unterstützen.

Um die Sicherheitsinteressen der Ukraine aus ukrainischer Sicht nachhaltig zu garantieren, sei an die vier Bedingungen erinnert, unter denen die Ukraine bereit ist, Gespräche mit Russland aufzunehmen: Vollständiger Abzug russischer Truppen aus der Ukraine, Reparationszahlungen, Bestrafung aller Kriegsverbrecher und schließlich die „freiwillige Abgabe aller Atomwaffen“. Auch wenn die Erfüllung der letzten Bedingung nicht nur im Hinblick auf das gewaltige Atomwaffenpotenzial Russlands sehr wünschenswert wäre, aber reine Utopie bleibt, herrscht in der westlichen Welt im Hinblick auf die ersten drei Punkte Übereinstimmung. Das heißt im Klartext: Russland wird diesen Preis zahlen müssen, wenn ihm wirklich an einem echten Frieden und an einer Rückkehr in die Gemeinschaft zivilisierter Staaten gelegen ist.