Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der massiven Kritik der polnischen Regierung an den zögerlichen deutschen Hilfsangeboten für die Ukraine befanden sich die deutsch-polnischen Beziehungen im sprichwörtlichen Keller. Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass es seit dem Machtantritt der von der PiS angeführten Rechtskoalition, also seit nunmehr acht Jahren, ständig bergab ging. Aber nicht nur die polnisch-deutschen Beziehungen haben seit dieser Zeit stark gelitten, sondern insbesondere auch die Beziehungen Polens zur EU, da sich Polen zusehends von den rechtsstaatlichen, in der EU verbindlichen Normen und Gesetzen entfernte.
Die schrillen Töne des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, der die EU mit Gesinnungsdiktatur gleichsetzte und der BRD unterstellte, ein 4. Reich anzustreben, verschärften sich im Zusammenhang mit den Wahlen zum polnischen Sejm und Senat. Diese brachten der demokratischen Opposition aus Bürgerunion, Drittem Weg und Neuer Linken am 16. Oktober 2023 eine komfortable Mehrheit, auch wenn die PiS als Einzelpartei die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte.
Wie sich aber inzwischen abzeichnet, wird der aus der PiS hervorgegangene polnische Staatspräsident Andrzej Duda an seinem Kurs festhalten und es der potentiellen neuen polnischen Regierung schwer machen, ihre Reformvorhaben und die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse durchzusetzen. Das ist aus seinen letzten Verlautbarungen klar zu entnehmen, in denen er im Hinblick auf die Vorhaben der noch Opposition und bald Regierung auf sein Vetorecht abhebt.
Begleitet wird diese wenig staatsmännische und geradezu unpatriotische Haltung, in der der Mehrheitswille der polnischen Wählerinnen und Wähler wenig Beachtung findet, von den weiterhin schrillen Tönen des Vorsitzenden Kaczyński, der den potentiellen neuen polnischen Regierungschef Donald Tusk schlankweg als „Verräter“ und „deutschen Politiker“ bezeichnet, und prophezeit, dass Polen nach dem Regierungswechsel und den angekündigten Reformen der EU in den nächsten Jahren aufhören werde als unabhängiger Staat zu existieren. Man könnte meinen, dass der polnischen Gesellschaft – mit Hilfe des inzwischen gleichgeschalteten Staatsfernsehens TVP – im alten Stil und im alten Duktus vermittelt werden soll, dass der äußere Feind nicht im Osten, sondern im Westen stehe.
Diese antideutsche und antieuropäische Propaganda, die naturgemäß an Schärfe zunahm, als die EU die polnischen Rechtsstaatsverletzungen zu sanktionieren begann, wird aber nicht nur notorisch vom Vorsitzenden Kaczyński vorangetrieben, sondern auch vom Noch-Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, den der polnische Präsident Duda kürzlich mit der mission impossible einer Regierungsbildung beauftragt hat.
Die enge Partnerschaft zum autoritär geführten Ungarn Viktor Orbáns wurde in den vergangenen Jahren besonders auch von Morawiecki dazu benutzt das in der EU in wichtigen Fragen geltende Einstimmigkeitsprinzip auf eine harte Probe zu stellen. Erst mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine fing die destruktive, den Rechtsstaat aushebelnde und auf eine Kooperation mit der extremen Rechten zielende polnisch-ungarische Zweckgemeinschaft an zu bröckeln. Auch die Kooperation mit der äußersten Rechten in Europa (Le Pen, Meloni) erhielt aufgrund der Putin-Nähe beider Protagonistinnen jetzt einen erheblichen Dämpfer.
Und inzwischen haben die noch amtierende PiS-Regierung und der mit ihr verbündete Staatspräsident Duda durch den wegen des Wahlkampfs zusätzlich befeuerten Konflikt um die Ausfuhr von ukrainischem Getreide in erheblichem Maße dazu beigetragen, die polnisch-ukrainischen Beziehungen nachhaltig zu beschädigen. Diese hatten aufgrund der schnellen polnischen Hilfe und der beträchtlichen humanitären und militärischen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine bis dahin einen Ausnahmecharakter und galten als vorbildlich.
Bleibt für das in Europa außenpolitisch weitgehend isolierte Polen noch das strategisch wichtige Bündnis mit den USA, auf das Duda jüngst in seiner außenpolitischen Erklärung abhob, und das verstärkte Engagement innerhalb der NATO, das angesichts der Bedrohung der NATO-Ostflanke durch das Bestreben Russlands, Belarus und die Ukraine zu inkorporieren, nicht nur für Polen von existenzieller Bedeutung ist. Im Hinblick auf die USA erklärte Duda, dass es Sache des amerikanischen Volkes sei, wer in den USA Präsident werde und dass dies aus polnischer Sicht keine Bedeutung habe. Bekanntlich setzten Duda und die PiS sicherheitspolitisch in erster Linie auf die USA und bis zu dessen Abwahl auf den EU- und deutschlandkritischen Donald Trump. Wir erinnern uns: der polnische Staatspräsident ließ auffallend viel Zeit verstreichen, bis er Joe Biden zu dessen Wahlsieg gratulierte.
Zu den anstehenden Reformen in der EU (Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips) äußerte sich Duda kritisch, die BRD, den größten und wichtigsten Bündnispartner Polens in Europa, erwähnte er nicht. Vielmehr hob er auf das seit 2015 bestehende Bukarest-Format und die seit 2016 vereinbarte Drei-Meere-Initiative ab, die als Reaktion auf die russische Besetzung der Krim sowie den Einmarsch in der Ostukraine begründet worden waren. Dass Polen wie auch andere ostmitteleuropäischen Staaten hinsichtlich ihrer Warnungen vor den expansiven Absichten Russlands (im Unterschied zu Deutschland) richtig gelegen hatten, unterstrich Duda ebenso deutlich wie den Umstand, dass man auch in den nächsten Jahren vor gewaltigen sicherheitspolitischen Herausforderungen stehen werde.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Bundesrepublik gegenüber Polen in den letzten Jahren eine wenig verständnisvolle Haltung eingenommen hat. Der deutsche Sonderweg im Hinblick auf die deutsch-russischen Beziehungen, das sture Festhalten an Nord-Stream II und die hartnäckig vertretene Maxime, dass es in Europa nur mit und nicht gegen Russland Sicherheit geben könne, ließen in Polen den Eindruck entstehen, dass Deutschland kein verlässlicher Bündnispartner sei.
Die Tatsache, dass man es in Deutschland notorisch versäumte den NATO-Verpflichtungen – den geforderten zwei Prozent vom BIP – nachzukommen und weiter auf die Friedensdividende setzte, ließ das Misstrauen im Hinblick auf die deutschen Bündnisverpflichtungen in der NATO nicht nur in Polen, sondern auch in den baltischen und in anderen ostmitteleuropäischen Staaten wachsen. Ausdruck hiervon waren die oben erwähnten Formate, die besonders auf Initiative der polnischen Außenpolitik ins Leben gerufen wurden.
Von der polnischen Rechten wurde die Gefahr eines deutsch-russischen Zusammengehens auf Kosten Polens und des gesamten ostmitteleuropäischen Raums heraufbeschworen. Die Erinnerung an die negative deutsch-russische Polenpolitik, die in den drei polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt erfahren hatte und 1939 mit der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts die vierte polnische Teilung und eine völkermörderische deutsche und sowjetische Besatzungspolitik in Gang gesetzt hatte, wurde bewusst wiederbelebt und von der polnischen Rechten im Kampf gegen die EU- und deutschlandfreundliche Opposition instrumentalisiert.
Die PiS-Regierung setzte in Polen eine Geschichtspolitik in Gang, die die Opfer- und Heldenrolle der Polen hervorhob, und in der weniger rühmliche Tatsachen der neuesten Geschichte Polens, etwa die faktisch nachgewiesene Unterstützung polnischer Hilfspolizei und Bevölkerung am Holocaust, kategorisch in Frage gestellt oder geleugnet wurde. Wiederholt wurde die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen in gigantischem Ausmaß gestellt, obwohl man sich bewusst war, dass es sich dabei um ein staats- und völkerrechtlich endgültig abgeschlossenes Kapitel handelte.
Angesichts dieser negativen Entwicklungen bietet die anstehende Ablösung der PiS-Regierung durch eine von Donald Tusk gebildeten Regierungskoalition für Polen sicherlich nicht nur die Chance, die Beziehungen zur EU, sondern auch zur Bundesrepublik zu verbessern. Man darf davon ausgehen, dass die Ministerien der zukünftigen polnischen Regierung entsprechend besetzt werden. Zumal die liberalen oppositionellen Kräfte in Polen sehr wohl wahrgenommen haben, dass sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – besonders nach der Zeitendwende-Rede von Olaf Scholz – verändert hat. Inzwischen ist die BRD vom vielgescholtenen Zauderer zum verlässlichsten europäischen Unterstützer der weiterhin existenziell bedrohten Ukraine geworden, arbeitet man an einer Neuformulierung der deutschen Ostpolitik und unternimmt energische Schritte, um die eigene Verteidigungsfähigkeit und die der NATO-Ostflanke zu verbessern.
Angesichts der anhaltenden russischen Bedrohung ist es notwendig, dass Deutschland im Einklang mit Polen eine gemeinsame Ostpolitik entwickelt. Gepaart mit dem festen Willen, die Ukraine gemeinschaftlich beim Wiederaufbau zu unterstützen und sich mit aller Entschiedenheit für eine realistische, gleichzeitig aber möglichst zügige Integration des Landes in die EU und NATO einzusetzen. Dies macht auf deutscher Seite aber auch eine modifizierte Wahrnehmung und Praxis gegenüber dem verbündeten Nachbarland zur Voraussetzung: „Polen ist heute kein Juniorpartner mehr, den wir großzügig in die europäische Familie coachen. Nicht nur Polen, die der PiS nahestehen, erwarten von uns, dass wir überkommene Stereotype hinter uns lassen und Polen Anerkennung, Engagement und Interesse entgegenbringen. Wir müssen zeigen, dass wir die Lehre aus unserer verfehlten Russlandpolitik tatsächlich umsetzen und Polen und die anderen östlichen Nachbarn stärker einbeziehen. Es ist Zeit, auf Polen als vollwertigen Partner deutscher Außenpolitik zuzugehen.“ (Arndt Freytag von Loringhoven: Auf Augenhöhe mit Polen. In: FAZ, 30.10.2023, S.8)
Leseempfehlung: Rolf Nikel: Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen. München 2023.