Zwei Jahre Krieg in der Ukraine – ein Zwischenruf

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Der von Russland losgetretene völkermörderische und von zahlreichen Kriegsverbrechen begleitete Vernichtungskrieg in der Ukraine geht unvermindert weiter und fordert auf beiden Seiten täglich viele Hunderte tote Soldaten und Zivilisten. Zivile Infrastruktur wird in der Ukraine weiterhin gnadenlos vernichtet, der Kriegsverbrecher Putin hält nicht still, ist an keiner Friedenslösung, sondern nur an einem Siegfrieden interessiert. Sein Appetit ist aber weitaus größer, denn es geht ihm letztendlich nicht nur um die Vernichtung des ukrainischen Staates und der ukrainischen Nation, sondern um die Spaltung der NATO, der EU und die Beherrschung Europas. Diese Ansicht habe ich bereits vor zwei Jahren, gleich nach der Eskalation des seit 2014 gegen die Ukraine geführten Krieges formuliert. Und dafür gab es gute Gründe.

Die Versäumnisse Europas, besonders aber der Bundesrepublik hinsichtlich der krassen Fehleinschätzung der Absichten Putins nach der Krimbesetzung sowie das fatale Festhalten am Projekt Nordstream haben den Kremlherrn dazu ermutigt, den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu eröffnen. Die zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zögerliche Haltung der Bundesregierung, die langanhaltende Weigerung effektive Waffensysteme zu liefern, die Furcht vor einer weiteren Eskalation des Kriegs, das Schielen auf die USA im Zusammenhang mit der beschämenden Debatte um die Lieferung deutscher Kampfpanzer findet nun seit Monaten eine Fortsetzung in der sog. Taurus-Debatte. Die starre Haltung des Bundeskanzlers in dieser Frage ist nur schwer nachvollziehbar, es sei denn, man unterstellt ihm, dass er nicht möchte, dass Russland diesen Krieg verliert. Gleichzeitig betont Scholz aber auch, dass es zu keinem Diktatfrieden Putins kommen darf. Die Ukraine darf dementsprechend weder verlieren noch siegen, so allem Anschein nach die „Logik“ des Bundeskanzlers. Da aber weder Russland noch die Ukraine bereit sind einen wie auch immer gearteten Frieden zu schließen, beide Seiten setzen unvermindert auf Sieg, wird dieser Konflikt voraussichtlich noch lange dauern und unzählige Menschenleben fordern.

Es sei denn der Westen, dessen Unterstützung für die Ukraine trotz gegenteiliger Bekundungen immer halbherziger wird, gibt die Ukraine ganz auf. Donald Trump hat dies im Falle eines Wahlsiegs als neuer alter Präsident der USA angekündigt und gleichzeitig die Bündnisverpflichtung der USA innerhalb der NATO in Frage gestellt. Die von den amerikanischen Republikanern seit Monaten betriebene Blockade der Hilfsmittel für die Ukraine liefert für diesen Worst Case nur einen milden, wenn auch bitteren Vorgeschmack.

Man muss dementsprechend davon ausgehen, dass die Europäer gut beraten sind, im Rahmen der noch bestehenden NATO viel stärker selbst für ihren militärischen Schutz zu sorgen. Das ist zwar von den meisten europäischen Regierungen ganz offensichtlich verstanden worden, wird der Bevölkerung – gerade in Deutschland, wo man sich naiven „Friedenshoffnungen“ hingibt – aber nicht klar genug kommuniziert. Ähnlich wie bei der absurden Diskussion über die Lieferung „schwerer Waffen“ lässt man ungenutzt zu viel Zeit verstreichen. Diese unterlassene Hilfeleistung führender europäischer Staaten kommt die Ukraine teuer zu stehen und bringt sie militärisch in eine höchst prekäre Situation. Im Falle einer ukrainischen Niederlage wird die Lage für Gesamteuropa jedoch noch weitaus prekärer, denn dann steht Wladimir Putin mit seinem Russkij Mir ante portas. Ob sich das imperialistische Russland unter Putin, dessen politische Lebensversicherung darin besteht Krieg zu führen, dann „nur“ mit den baltischen Staaten und Moldau begnügen wird, ist mehr als fraglich. Dann spätestens wird auch die „Logik“ des Bundeskanzlers und anderer europäischer Zögerer zu einem Ende gekommen sein. Dann wird man, um sich nicht unterwerfen zu müssen, die Herausforderung durch Russland in Gänze und eventuell auf NATO-Gebiet annehmen müssen: durch effektive kollektive Abschreckung, der eine entsprechende Aufrüstung Europas vorausgehen muss und durch die Bereitschaft und Fähigkeit Krieg gegen Russland zu führen. Das könnte – so Boris Pistorius – in etwa drei bis fünf Jahren der Fall sein. Falls die ausblutende und unsere Freiheit verteidigende Ukraine so lange durchhält und Russland, das sich auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, in der Lage ist, seine erheblichen Verluste an Soldaten und militärischem Material zeitnah zu ersetzen, um weiter in Richtung Westen vorzudringen.

Insofern ist dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj zuzustimmen, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz kürzlich ausführte, dass man nicht die Ukrainer danach fragen sollte, wann der Krieg enden werde. Vielmehr solle sich der Westen selbst fragen, warum Putin immer noch in der Lage sei, diesen Krieg zu führen. Zu einem ähnlichen auf die im Bundestag ausgetragene Taurus-Debatte bezogenen Ergebnis kommt der Kommentator in der gestrigen FAZ: „Deutschland hat Beachtliches geleistet. Regierung und Koalition haben die andauernde Pflicht, dafür zu sorgen, dass das nicht umsonst war. Wenn wir uns in der Ukraine nicht verteidigen, gibt es bald hier auch nichts mehr zu verteidigen.“ (Reinhard Müller: Wo bleibt der Booster für die Ukraine? In: FAZ, 23.02.2024, S.1)