Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zwischen Tommy-Hilfiger-Freizeitpark, Netflix True Crime Horror und TikTok-Pausenhof

Dr. Gerhard Schüsselbauer

Am Ende kommen Touristen“ (Filmtitel, 2007)

Wie organisiert man den Besuch in Auschwitz-Birkenau, einem der wichtigsten Gedenkorte der deutschen, polnischen und europäischen Geschichte? Kazimierz Smoleń (1920-2012) war langjähriger Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau und sah die kommenden Touristenströme voraus. Für ihn als ehemaligen Häftling, der von Juli 1940 bis Januar 1945 im Konzentrationslager Auschwitz I inhaftiert war und der die anschließenden Todesmärsche Richtung Mauthausen in Österreich überlebte, war ein würdiges, pietätvolles Gedenken an die Opfer ein zentraler Baustein der Erinnerungskultur und der Aussöhnung mit Deutschland im Bewusstsein der historischen Geschehnisse.

Reist man heute zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und kommt zum neuerbauten, betonkahlen Eingangsbereich, bei dem eine Betonfirma zweifellos gute Geschäfte machen konnte, sieht man sich gleichsam zu jeder Jahreszeit mit Touristenströmen konfrontiert. Das nahe gelegene pittoreske Krakau/Kraków bietet sich perfekt für Halbtagestouren an, um den Ort des Grauens aufzusuchen. Vorher kann man sich noch den Film „The Zone of Interest“ mit einer beispiellos krassen Fehlbesetzung der männlichen Hauptrolle, dem Lagerkommandanten Rudolf Höß, antun. Wenigstens retten Sandra Hüller als Hedwig Höß sowie starke surrealistische und kameratechnische Elemente diesen Film…

Vorbereitung und konkrete Gedenkstättenarbeit: Thematische Einstimmung und organisatorische Hinweise sind im Vorfeld essentiell. Und das beginnt schon mit der angemessenen Kleidung für diesen Ort. Leider überwiegt sehr sichtbar Kleidung, die eher passend für einen Strandausflug ist. Man sieht sogar Lehrer in Flecktarnhosen oder Motorradfahrer in Lederstiefeln. Hier wird’s also so richtig postmodern gruselig. Tommy Hilfiger meets TikTok and Instagram, denn natürlich dürfen Selfies an der Rampe in Birkenau (Auschwitz II) oder vor der Todeswand neben Block 11 nicht fehlen. Dann haben wir das gesamte Mainstream-Potpourri eines gängigen Besuches in der Gedenkstätte beieinander. So wie wenn wir zu Aldi zum Einkaufen gehen… Aldi also für die Gefühle, und ein wenig Horror für den Gruselfaktor muss auf jeden Fall dabei sein. „Entschuldigung, aber wo sind eigentlich die Ascheberge?“ so fragte mich vor einiger Zeit mal ein teilnehmender Lehrer. Oder eine Lehrerin sagte: „Das habe ich alles in Dokumentarfilmen schon viel besser gesehen.“

Umso wichtiger ist daher eine thematische Vorbereitung gerade junger Teilnehmender, um diesen Ort würdig zu besuchen und das Gedenken aufrechtzuerhalten. Neben der inhaltlichen Arbeit gehören dazu auch ein pietätvolles Auftreten und Kleidungsstil. Israelische Jugendgruppen haben das längst verinnerlicht und sollten als Maßstab dienen, denn dort sind nur schwarz oder weiß erlaubt. Jogginghosen à la Manchester City, Paris Saint-German oder Chelsea sind absolut tabu. Vor allem muss im Nachgang der Besuche in Auschwitz-Birkenau für junge Menschen die Verknüpfung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hergestellt werden. „Ich habe aus unserer gemeinsamen Vergangenheit gelernt…?, „Was hat das heute mit mir zu tun…?“ und „Dieser Besuch ist für unsere gemeinsame Zukunft in Europa wichtig, weil…“ Nur so können junge Menschen in Ansätzen verstehen und erfühlen, was an diesem Ort wirklich passiert ist.