Dr. Gerhard Schüsselbauer
„It’s over for the liberal democracies… here comes the jungle… no more European ideas of good and bad” (Songtext aus Bells & Circles, Underworld and Iggy Pop)
Dieses Jahr wird von der Königlich-Schwedischen Akademie der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften an die Forscher Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James A. Robinson verliehen. Sie gehen explizit der Frage nach, welche Bedeutung und welchen Einfluss staatliche Institutionen auf den Wohlstand eines Landes haben.
Vor allem die Stärken der Grundlagen der Demokratie werden in ihren Arbeiten betont und nehmen daher einen wichtigen Platz in der Wirtschaftsgeschichte, der politischen Ökonomie sowie der Institutionenökonomie ein. Die Verleihung passt genau in unsere Zeit der Demokratie- und damit Wohlstandsgefährdung in Deutschland, in Europa, in den USA und weiteren Staaten. Russland ist längst eine autoritäre, faschistische Diktatur. Nur gefestigte demokratische Institutionen im Einklang mit Rechtsstaatlichkeit können langfristig die Entwicklungschancen der Menschen eines Landes begünstigen – so die Hauptthese der drei Wirtschaftswissenschaftler. Wie in einer Kaskade beeinflussen politische Institutionen wirtschaftliche Institutionen, formale und informelle Regeln und Prozesse (Douglass C. North) und damit am Ende das wirtschaftliche Ergebnis menschlichen Handelns. Nur eine freiheitliche Ordnung, eingebettet in einen konzisen Ordnungsrahmen kann die Kreativität und Dynamik wirtschaftlicher Aktivitäten und somit den Fortschritt fördern. Vor allem vor dem Hintergrund des massiven demographischen Wandels kommt es auf die Anreizstrukturen für junge Menschen an, die dynamische ökonomische Entwicklung voranzubringen. Im Kern geht es um die Beteiligung, Aktivierung und Teilhabe aller Bevölkerungsschichten an wirtschaftlichen Prozessen. Die Unglaubwürdigkeit und Perspektivlosigkeit politischen Handelns führen dagegen zu Apathie, Enttäuschung, massiver Verdrossenheit und sogar Radikalisierung in der Bevölkerung. Mit genau diesen Phänomenen sehen wir uns gegenwärtig in Deutschland sowie auch in vielen anderen europäischen Ländern konfrontiert.
Allerdings lohnt sich im Hinblick auf die Bedeutung demokratischer Institutionen für die wirtschaftliche Entwicklung ein Blick nach China, wo die kommunistische Einparteienherrschaft in den letzten beinahe 50 Jahren einen radikalen antiwestlichen Gegenentwurf entwickelt hat – staatlich gelenkter Kapitalismus mit Überwachungsstaat in Kombination mit starken privatwirtschaftlichen Anreizen für Individuen, wirtschaftlich aktiv zu werden, ohne das Machtmonopol der kommunistischen Partei der Volksrepublik China in Frage zu stellen. Es ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, Antworten auf den Umgang mit autoritären, jedoch wirtschaftlich durchaus erfolgreichen Regimen zu finden.
Wohlstand und Wirtschaftswachstum hängen vor allem vom technologischen und organisatorischen Fortschritt in der Gesellschaft ab. Dazu sind gefestigte staatliche Institutionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft essenziell und bilden einen Ordnungsrahmen für das anreizbezogene, freiheitliche und selbstverantwortliche Handeln der Menschen. Das sind auch die Grundfeste der Sozialen Marktwirtschaft. Erwachsen nunmehr aus der Krise eine neue Innovationsdynamik und ein Schub für den Fortschritt in der Ökonomie? Berühmt geworden ist der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter mit seiner Beschreibung des Prozesses der „schöpferischen Zerstörung“, die für den Kapitalismus / die Marktwirtschaft das wesentliche Faktum darstellt. Das Chancenpotenzial, das aus jeder Krise entsteht, besteht in den Innovationen durch die verstärkte Digitalisierung – auch und vor allem in staatlichen und parastaatlichen Institutionen. Ein genuines Ordnungskonzept ist beim gegenwärtigen staatlichen Handeln der politischen Akteure jedoch nicht erkennbar. Die wichtigste Frage im Rahmen der Fiskalpolitik ist zweifellos die langfristige Konsolidierung der Staatsverschuldung als Kernelement einer zukunftsgerichteten Wirtschaftspolitik. Die langfristige Innovationsrichtung der Marktwirtschaft droht hinter der „Machbarkeit“ staatlicher Prozesspolitik zu verschwinden. Marktwirtschaft ist jedoch vielmehr das Ergebnis des Handelns aller Wirtschaftsakteure und weniger ein staatlicher Entwurf (Friedrich August von Hayek). Die momentan in Deutschland andauernde Wirtschaftskrise darf nicht zu einer Vertrauenskrise in die marktwirtschaftlichen Kräfte „mutieren“, denn der Aufstieg rechter und rechtspopulistischer Parteien und Strömungen in Deutschland und in Europa führt zu einer veritablen Gefährdung nicht nur der Demokratie per se, sondern auch des wirtschaftlichen Wohlstandes. Die meisten Menschen machen sich nicht klar, welch enorme Bedeutung demokratisch legitimierte staatliche Institutionen in einem Rechtsstaat für private und staatliche Investitionen, den Konsum und auch den Außenhandel haben! Eine Abkehr davon durch den rasanten und radikalen Aufstieg rechter Parteien gliche einem verheerenden Erdbeben, zumal populistische Kräfte in einer Mischung aus nationalorientiert (AfD) und sozialistisch (BSW) genau diese Institutionen und deren Bedeutung in Frage stellen oder sogar abschaffen wollen. Nur eine offene Gesellschaft (Karl Popper) kann ihre inneren Feinde in Schach halten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in dieser Betrachtung ist die Globalisierung, ein Modewort, das seit den 1990er Jahren einen phänomenalen Aufschwung erlebt hat. Mittlerweile ist es zu einem Catch-all-Begriff vor allem für alle problematischen oder gar schädlichen Entwicklungen weltweit geworden. Die Konnotation insbesondere in der deutschen Sprache ist sehr häufig negativ besetzt. Sieht man sich die Entwicklungen, die mit globalen Prozessen zu tun haben, genauer an, erkennt man sowohl eine exogene, von außen kommende Komponente, als auch endogene Prozesse. Letztere bedeuten, dass Globalisierung vor allem mit Menschen selbst und ihrem sozioökonomischen Verhalten zu tun haben. Selbstverständlich haben dann Menschen auch die gestalterische Kraft, die Globalisierung zu beeinflussen, denn globale Trends umfassen alle Austauschbeziehungen zwischen geografisch getrennten Akteuren – politisch, ökonomisch, sozial und kulturell. Menschen streben nach Verbindung und nach Nachahmung, deshalb sind solche Plattformen wie Instagram oder TikTok so erfolgreich, und natürlich auch Dating-Apps. Ein weiterer Ausdruck der Globalisierung/Internationalisierung der Wirtschaft spiegelt sich im exorbitanten Wachstum des Welthandels wider, von dem auch weniger entwickelte Länder profitieren können, wenn die Handelspolitik seitens der großen Wirtschaftsräume Nordamerika, EU und Ostasien sowie die eigene Handelspolitik des globalen Südens dies zulassen. Menschen, Regionen und Länder sind nicht per se Getriebene der Globalisierung, sondern sie sind die Globalisierung selbst. Geschichtlich betrachtet ist sie die Evolution der menschlichen Spezies und findet bereits seit tausenden von Jahren statt.
Die neue Welt(un)ordnung müsste für die Weltgemeinschaft im Grunde genommen ein Ansporn sein, noch besser zu kooperieren und das ständig fortschreitende Wissen um die Grundlagen und Zusammenhänge zwischen Demokratie, Institutionen und (Sozialer) Marktwirtschaft zu teilen und zu nutzen. Dieses Wissen muss viel stärker zum Allgemeingut erhoben werden und darf nicht nur Eliten und entwickelten Regionen vorbehalten bleiben. Der Wettbewerb um die besten Strategien und Lösungen ist dabei grundsätzlich dem Fortschritt sehr förderlich, man beobachtet jedoch einen verstärkten Rückzug in nationalstaatliche Verhaltensmuster, und selbst die EU mit ihrer heftig kritisierten, weil überbürokratischen Struktur ist keineswegs frei davon. Die Weltgemeinschaft braucht viel mehr Solidarität und Transparenz bei diesen Prozessen, denn Transparenz ist auch Macht, die Bewegungen initiiert, wobei sich Menschen für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzen. Solidarität ist kein Gegensatz zur globalen Marktwirtschaft, sondern ein Wesenskern des Sozialen in der Sozialen Marktwirtschaft.