Russische Literatur im Dienst des Imperialismus?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Die jüngst auch in deutschen Medien geführte Diskussion um den Stellenwert der russischen und sowjetischen Literatur im Hinblick auf den hegemonialen Anspruch Russlands, der seinen dramatischen Ausdruck in dem nunmehr seit acht Monaten geführten Krieg in der Ukraine findet, reißt nicht ab. Dass es dabei vor allem die Aussagen prominenter ukrainischer Autoren/innen sind, die der russischen Kultur, insbesondere aber der klassischen und Gegenwartsliteratur in dieser Hinsicht ein schlechtes Zeugnis ausstellen, ist nicht verwunderlich. In der Ablehnung alles Russischen ist sich momentan nicht nur die Mehrheit der Ukrainer/innen einig, sondern auch zahlreiche Intellektuelle. In entsprechenden Aussagen wird nicht nur der politischen und militärischen Führung Russlands Unmenschlichkeit und Barbarei vorgeworfen, sondern es wird auch danach gefragt, wieso so viele Russen offenbar willfährig der primitiven und zynischen russischen Kriegspropaganda, in der systematisch eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird, Glauben schenken. Dabei häufen sich die Stimmen, dass es gerade bedeutende russische Schriftsteller waren, die durch die Betonung der besonderen Mission Russlands, den durchgängigen Opfer- und Heldenmythos, die Herabsetzung anderer Völker (Kaukasier, Polen, Ukrainer) sowie des Westens insgesamt, dieser Geisteshaltung Vorschub geleistet und sie maßgeblich beeinflusst haben.

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Deutsche Ignoranz und Gefühlsverwirrung?

Zbigniew Wilkiewicz

„Die Ukraine hat für die meisten Deutschen, auch die gebildeten Stände, nicht existiert“ stellt der prominente Osteuropahistoriker Karl Schlögel anlässlich eines Treffens der deutsch-ukrainischen „Brücke aus Papier“ in Weimar fest und ergänzt, dass es besonders die geistige „Hochebene“ Deutschlands war, die in ihrer Arroganz und Unkenntnis auf das imperiale Russland fixiert blieb, während man die Ukraine lediglich als riesiges Durchgangsland auf dem Weg nach Moskau behandelt habe. (Kathrin Hillgruber: Widerstandskraft aus dem Bibliothekskubus. Was Aschebücher lehren: Das deutsch-ukrainische Schriftstellerprojekt „Eine Brücke aus Papier“ tagt in Weimar. In: FAZ, 8.11.22, S.9). Es fällt schwer, Karl Schlögel nicht beizupflichten. In der Tat ist es bedauerlicherweise der seit Ende Februar dieses Jahres von Russland großflächig entfesselte Krieg, der am Nichtwissen und der Arroganz der meisten Deutschen etwas verändert hat, denn die sich heldenhaft verteidigende und um ihre schiere Existenz ringende Ukraine bleibt trotz einsetzender deutscher Kriegsmüdigkeit weiterhin im Fokus der Öffentlichkeit.

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Deutsche Alleingänge?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

„Deutschland hat Warnungen zweier US-Regierungen zu Russland und die Zweifel der EU ignoriert. Handelsbeziehungen lassen sich nicht plötzlich beenden, aber es ist keine gute Nachricht für Europa, dass Deutschland Entscheidungen ohne seine europäischen Partner trifft.“ (El Pais, 31.10.22)

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Kein deutscher Sonderweg!?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Für viele Deutsche – vor allem Sozialdemokraten – war es nachvollziehbar, dass Bundeskanzler Scholz im Zusammenhang mit der Bewaffnung der Ukraine keine Sonderwege gehen wollte und es vermied, diesbezüglich in die erste Reihe der die Ukraine unterstützenden Verbündeten zu treten. Dabei wurde immer wieder betont, dass ein jeder Schritt gemeinsam mit den Verbündeten in der EU und der NATO abgestimmt werde. Allerdings brachte man nicht nur in Mittelosteuropa und in der existenziell bedrohten Ukraine für diese überaus vorsichtige Haltung Berlins nur wenig Verständnis auf, sondern auch westeuropäische Partnerländer zeigten sich überrascht und übten Kritik.

Daran hat sich trotz einer gewissen Aufweichung der Position des Bundeskanzlers und der Bundesverteidigungsministerin nicht viel verändert, obwohl die Kritik an der deutschen Energie-, Wirtschafts- und Außenpolitik in Gesamteuropa zuletzt eine neue Zielrichtung hat. Es sind die wirtschaftspolitischen Alleingänge, der gerade eben vom Bundestag verabschiedete „Scholzsche Doppelwumms“, aber auch die von Scholz bekämpfte gesamteuropäische Deckelung des Gaspreises, die in den meisten Staaten der EU auf Unverständnis und Verärgerung stoßen. Der französische Präsident Macron hat dies treffend zum Ausdruck gebracht, als er kürzlich hervorhob, dass Deutschland sich in der EU nicht isolieren dürfe. Bezieht man nun noch die gegenwärtig virulente Debatte um die Chinapolitik der Bundesrepublik und der EU mit ein, die sowohl in Deutschland als auch in Europa hohe Wellen schlägt, so kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, als würde sich die deutsche Führung trotz aller anderslautenden Beteuerungen erneut auf einem Sonderweg befinden.

Es ist vor allem Olaf Scholz, der ganz offensichtlich nicht nur im Hamburger Hafen, sondern demnächst auch in Peking an den weit ausgebauten Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik festhalten möchte, trotz gut begründeter Mahnungen aus deutschen Ministerien und Sicherheitskreisen und einer entsprechend kritischen bis ablehnenden Haltung etlicher europäischer Staaten. Nicht zuletzt auch der USA, was schon deshalb schwer wiegt, weil es in erster Linie die Vereinigten Staaten im Rahmen der NATO sind, die angesichts des russischen Vernichtungskriegs in der Ukraine und der Bedrohung der westlichen Welt durch das autoritäre China, Europa und Deutschland davor schützen, zu einem Spielball der russischen Geopolitik und des chinesischen Wirtschaftsimperialismus zu werden.

Der illusorische Holzweg vom „Wandel durch Handel“, der trotz besseren Wissens über lange Jahre von deutschen Spitzenpolitikern/innen mit zum Teil fadenscheinigen Begründungen im Alleingang beschritten und besserwisserisch gegen Kritik aus dem In- und Ausland beibehalten wurde, ist von Wladimir Putin brutal in die Luft gejagt worden.

Auf China bezogen formuliert Frank Bösch die Entwicklung dieses Holzweges wie folgt: „Anstatt zu einem „Wandel durch Handel“ in China kam es zu einem „Handel durch Wandel“ in Deutschland. Die Demokratien passten sich oft an Chinas Regeln an. China hat, wie nun auch Russland, die Hoffnung widerlegt, dass Handel und Kooperation langfristig zu einer politischen Liberalisierung führen.“ (Handel durch Wandel. Vor fünfzig Jahren nahmen die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China diplomatische Beziehungen auf. Was als Fernostpolitik im Kontext des Kalten Krieges gedacht war, entwickelte bald eine Eigendynamik. Mit Hilfe des Westens und nicht zuletzt Deutschlands wurde China in kürzester Zeit zu jener Wirtschaftsmacht, die nach innen und nach außen immer repressiver auftritt. In: FAZ, 17.10.2022, S.6).

Merkel und Scholz, alles richtig gemacht?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, bis vor kurzem als mächtigste Frau der Welt gefeiert und lange als beste Kennerin Putins gehandelt, hat sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine recht lange gar nicht in der Öffentlichkeit geäußert. Nun, nach einer kritisch kommentierten Talkshow im Juni dieses Jahres, tat sie es in Lissabon doch sehr explizit und hielt erneut fest, dass sie im Hinblick auf den deutschen Energiedeal mit Russland, dem in der EU sehr umstrittenen Bau von Nord Stream 2, der nach Ansicht zahlreicher europäischer Partner für einen die Ukraine zusätzlich gefährdenden deutschen Sonderweg stand, nichts zu bereuen habe. Auch die Tatsache, dass der Bau von Nord Stream 2 nur relativ kurz nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim beschlossen wurde, scheint die Ex-Kanzlerin selbst im Rückblick nicht zu stören.

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Nun doch Teilmobilmachung?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Putin ist gewaltig unter Druck und jetzt will er doch noch schnell Fakten schaffen, indem er Pseudoabstimmungen in den besetzten ukrainischen Territorien durchführen und fiktive Volksrepubliken ausrufen lassen will. Die Muster gleichen sich seit Amtsantritt des KGB-Manns, sind leicht durchschaubar und abgegriffen. Gleichzeitig droht Putin, wie schon seit dem 24. Februar, mit dem Einsatz von Atomwaffen. Und – während die Duma gestern ihre Gesetze gegen kriegs- und kampfunwillige russische Soldaten in Windeseile drakonisch verschärft hat – ruft der Kremlherr nun endlich auch die Teilmobilmachung aus.

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Führungsmacht?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Was macht eine Führungsmacht aus? Wohl, dass sie vorangeht. Kaum erklärt die Bundesverteidigungsministerin Lambrecht Deutschland zur Führungsmacht, gib es schon kritische Stimmen in ihrer eigenen Partei und natürlich auch in der Presse, denn wie betitelt etwa Bertold Kohler seinen Kommentar auf der Titelseite der FAZ vom 13.09.2022 recht lapidar: „Die Furcht der Führungsmacht“. Wonach er dann einige überfällige, aber recht unangenehme Fragen aufwirft, die nicht nur in Richtung Scholz und Lambrecht, sondern an den ganzen Westen gerichtet sind. Dieser sollte sich klar äußern, wozu er die Ukraine eigentlich unterstützt? Wenn Kohler Frau Lambrecht zitiert, dass Deutschland die Führungsrolle in Europa übernehmen müsse und dabei keine Angst zu haben brauche, so ist ihm beizupflichten, wenn er diese starken Worte mit dem Pfeifen im Ampelwalde vergleicht, in dem die Worte geschätzte 50 Prozent größer sind als die Taten.

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Russland – ein Terrorstaat?

Zbigniew Wilkiewicz

Bekanntlich bemüht sich der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskyj seit Kriegsbeginn darum, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Russland international als Terrorstaat eingestuft werden sollte. Zuletzt geschah dies am 29.07.2022, als Selenskyj zum wiederholten Male hervorhob, dass Russland sich „als staatlicher Sponsor des Terrorismus“ betätige.  

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Raketen statt Weizen, Worte statt Ringtausch

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Die Unterschriften unter den beiden Abkommen über den Abtransport der gewaltigen ukrainischen Weizenreserven aus den Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Juschne sowie den ungehinderten, sanktionsfreien Export russischen Weizens haben in den letzten Stunden bei vielen Menschen auf der ganzen Welt, besonders aber bei jenen, die vor einer akuten Hungerkatastrophe stehen, große Hoffnungen geweckt. Die sich quasi abzeichnende Lösung, die nach zähen Verhandlungen der UN und der Türkei mit den Repräsentanten Russlands und der Ukraine zustande kam, ist indes nach nur einem einzigen Tag höchstwahrscheinlich wieder Makulatur. (Reinhard Veser: Der Weg zur heiklen Einigung. In: FAZ, 23.07.22, S. 3)

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Strategische Ziele klar benennen

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Auch die Bundesregierung und der Bundeskanzler werden nicht darum herumkommen, in dem gerade wieder mit besonderer Intensität tobenden Ukrainekrieg ihre strategischen Ziele klarer zu benennen. Bisher hat Bundeskanzler Scholz auf Ambiguität gesetzt, indem er vage Hoffnungen und Erwartungen formulierte. Jetzt ist er ganz verstummt, denn nun droht Putin mit der Einstellung sämtlicher Gaslieferungen und setzt Europa, besonders aber die Bundesrepublik, unter immensen Druck. Die Sorgen werden größer und man wird sich europaweit weiter wappnen müssen. Allerdings war das, was jetzt wahrscheinlich kommt, vorauszusehen.

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